Jost Winteler

*Filzbach (GL) 21.11.1846, †Hochsteig (bei Wattwil/SG) 23.2.1929, Dialektologe und Linguist. Studium von Theologie, Geschichte, Germanistik und Sprachwiss. in Basel, Zürich und Jena, Dr. phil. 1875 in Leipzig; Gymnasiallehrer in Aarau 1884-1914. In seiner Diss. »Die Kerenzer Mundart des Kt. GL in ihren Grundzügen dargestellt« (1876) beschrieb W. als einer der ersten eine lebende Sprache nach der Theorie und Methode der artikulator. Phonetik. Die Darstellung ist von grösster Exaktheit. Sie wurde wichtig für die einflussreichen »Grundzüge der Lautphysiologie« seines Lehrers E. Sievers und über ihn für die phonet. Theorie bis in die Gegenwart (W. wird noch in den »Sound Pattern of English« von Chomsky und Halle, 1968, zitiert).
Wenn W. seit den 30er Jahren (N.S. Trubetzkoy) als Vorläufer der Phonologie gefeiert wurde, dann beruht dies auf einer verzerrten Interpretation seiner lautphysiolog. Ausdrucksweise. Treffender ist U. _Weinreichs Hinweis auf die prozesshafte Beschreibungsmethode der Assimilationen von W., die ihrerseits auf seine Beschäftigung mit altind. Grammatik zurückgeht. Viele seiner Entdeckungen (z.B. der stimmlosen Lenes) und seiner genauen Beschreibungen sind für die Phonetik des Schweizerdeutschen heute noch massgebend. W. wurde in vielfältigem freundschaftl.-beratendem Kontakt mit Autoren (z.B. Sophie Haemmerli-Marti) sowie mit seiner epochemachenden Schrift »Über Volkslied und Mundart« (1895) einer der theoret. Begründer der neueren Schweizer Dialektliteratur. Zugleich war W. auch als Ornithologe tätig und schrieb zahlr. Fachaufsätze über Vögel und deren Naturlaute. Sein literar. Schaffen dagegen beschränkte sich auf den einzigen, höchst eigenwilligen zykl. Versband »Tycho Pantander. Eine Geistesentwicklung in Liedern dargestellt« (1890). … Lit.: Tuchschmid, A./Kaeslin, H./Haemmerli-Marti, Sophie: J.W., Aarau 1930. (Schweizer Lexikon)