Wir alle nur Tanzmäuschen: Gustav Wied (1858-1914)

1887, als der Storeheddinge-Skandal Dänemark erschütterte, meldete sich der 29jährige Student Gustav Wied mit einem anonymen Pamphlet zu Wort. Und tat im Prinzip nur, was er ab 1889 auch in seinem literarischen Werk tun sollte: er geisselte die Unmoral und Verkommenheit des Adels und der reichen Bürger, die im Gefolge der von Ibsen diagnostizierten Degeneration längst einem neuen, zukunftsfähigen Geschlecht hätten Platz machen sollen. In «Die von Leunbach» (1898), «Die leibhaftige Bosheit» (1899) und andern Romanen zeichnet Wied ein satirisches Bild vom dänischen Kleinstadtleben, stellt da aber immer wieder Figuren hinein, die das Naturalistische, getrieben von einer elementaren Sexualität, ins Absurde kippen lassen: Helmut von Leunbach, der seine Frau und deren Liebhaber in einer Strohhütte verbrennt, Pfarrer Mascani, der sich zum Entsetzen der Gläubigen in seiner Kirche als babylonische Hure und das grosse Tier der Apokalypse outet, der Sonderling Emanuel Thomsen, der ein Leben lang kämpft, um den väterlichen Hof zurückzukaufen, und am Ende feststellt, dass er im Grunde lieber in der Stadt lebt. Am eindrucksvollsten ist Wieds pessimistische Philosophie in einem Stück umgesetzt, das praktisch unaufführbar ist: in «Dansemus»/«Tanzmäuse» von 1905. Das zehnte einer Reihe von Satyrspielen, die 1896 mit «Erotik» begonnen hatten und dann nach und nach den Adel, die Pfarrer, die Bürger, die Bauern und die Frauen aufs Korn nahmen, führt in neun Akten 25 Paare vor, die alle ein Laster, etwas Skandalöses oder eine schiefe gesellschaftliche Entwicklung verkörpern. Weit aussagekräftiger als diese menschlichen Marionetten sind die Tanzmäuse, die eine der Figuren, der kuriose Phantast Edmund Melling, vorführt und die Gustav Wieds bitter-groteske Auffassung vom Menschen am allerträfsten verkörpern. Unverdrossen, unermüdlich und vollkommen sinnlos rennen die kleinen Viecher in ihrem Käfig herum, und wenn sie mal kurz anhalten und verweilen, so einzig, um zu fressen oder um sich zu paaren...