Gottsucher in gottferner Zeit: Franz Werfel (1890-1945)

«Mein einziger Wunsch ist, / Dir, o Mensch, / verwandt zu sein», fängt das Poem «An den Leser» in Franz Werfels Erstling «Der Weltfreund» von 1911 an. Ein Band, der Kafka ausrufen liess: «Der Mensch kann Ungeheures!» Aber der Krieg liess das expressionistische Verbrüderungspathos schal werden - «Die Welt ist Bruch und Schuld auf immer», hiess es 1915 im Band «Einander»-, und statt auf den Menschen setzte Werfel fortan auf Gott. Nicht nur der Krieg, auch der Tod des Sohnes, den Alma Mahler-Gropius ihm 1918 geboren hatte, trug dazu bei, dass Werfel in gottferner Zeit zu einem religiös orientierten Dichter im Spannungsfeld zwischen Juden- und Christentum wurde: 1926 mit dem Drama «Paulus unter den Juden», wo die zwei Pole in der Gestalt des Paulus zusammenprallen, 1929 im Roman «Barbara oder Die Frömmigkeit», wo den Wiener Kaffeehausliteraten eine Magd als selbstloses Ideal des religiösen Menschen gegenübertritt, 1933 in «Die vierzig Tage des Musa Dagh», wo der Genozid an den Armeniern auf erschütternde Weise die Shoa vorwegnimmt, 1939 in «Der veruntreute Himmel», wo das hereinbrechende Unheil auf den «Aufstand gegen die Metaphysik» zurückgeführt ist, 1941 in «Das Lied der Bernardette», wo Werfel zum Dank für die geglückte Flucht von Sanary nach Amerika der zum Fetisch pervertierten Vernunft «die Ungeheurlichkeit des Wunders» gegenüberstellte. Wie der aus Prag stammende Wortführer des kurzlebigen Berliner Expressionismus denn überhaupt in jedem seiner späteren Werke – mit teilweise sensationellem Publikumserfolg! – prüfte, ob der religiöse Mythos auf irgend eine Weise im Irdischen fassbar zu machen sei. Am kühnsten, ausgreifendsten, phantasievollsten tat er das in dem Buch, das er in Amerika seiner letzten schweren Krankheit abrang: im utopisch-visionären Zukunftsroman «Stern der Ungeborenen», der im Jahr 101943 nach Christus spielt und den er wenige Tage vor seinem Tod am 26.August 1945 in Beverly Hills vollendete.