Christian Uetz * 1963

Man sollte ihn nicht nur gelesen, sondern auftreten gehört und gesehen haben, diesen Tausendsassa Christian Uetz! Wenn er wie ein Torero vor den Stier vor sein Publikum tritt, wenn er mit mal flüsternder, mal dozierender, mal schreiender Stimme und mit Gesichtern, Blicken und Körperbewegungen, die dem Vorgebrachten erst seine Wucht, seine Eindringlichkeit, seine Faszination verleihen, seine Verse und Prosatexte vorträgt. Ohne ein Buch in der Hand, alles aus dem Gedächtnis, und zwar so, als entwickle er es spontan aus dem Moment heraus. Christian Uetz kam am 8. August 1963 als Sohn eines Käsermeisters im thurgauischen Egnach zur Welt, besuchte das Lehrerseminar Kreuzlingen und trat 1984 eine Lehrerstelle in Wengi an. Als 1985 ein Verlag seinen frühen Gedichten eine Absage erteilte, ging er zur Musik über und studierte neben dem Schulpensum Querflöte am Konservatorium Winterthur. Bis die Begegnung mit den Werken Heideggers, Kierkegaards, Nietzsches und Wittgensteins ihn bewog, das Musikstudium abzubrechen und in Zürich Philosophie zu studieren. Die Begeisterung für das ExistenziellRadikale dieser Philosophen, die unverkennbare musikalische Begabung und eine späte éducation sentimentale in der Begegnung mit einer ganzen Reihe junger Frauen zwischen romantischer Verzückung und sexueller Ekstase – all dies führte schliesslich dazu, dass das Schreibenmüssen wie eine Lawine über ihn hereinbrach und er mit der Kraft erotischer Erregung «nach literarischen Wegen» suchte, «die noch niemand gegangen war». Als 1993 sein erster Gedichtband erschien, nannte er ihn «Luren», sich selbst einen «Luriker», und erklärte das wie folgt: «Weil Luren Huren sind, Huren sich immer anpreisen und ich meine Gedichte anpreise, bin ich ein Luriker.» Mit seinen «Luren» wie auch mit seinen «Ree­ den» von 1994 – beide im Frauenfelder Waldgut­Verlag erschienen – vermochte Uetz sich so erfolgreich anzupreisen, dass er bald einmal zum Geheimtipp der Lyrikszene aufstieg und auch bei der Slam­Poesie mitmischte, obwohl seine Gedichte in Wirklichkeit keineswegs spontan improvisiert, sondern die Frucht beharrlicher Spracharbeit waren. Letzteres fand auch dadurch Anerkennung, dass 1998/1999 zwei Bände bei Droschl in Graz erscheinen konnten: die in Sachen Sprachexperiment am weitesten vorangetriebenen Gedichte des Bandes «Nichte» sowie die lyrische Prosa «Zoom Nicht», die mit «Hirnhelle Heroine» auch den Text umfasste, mit dem Uetz beim Bachmann­Wettbewerb 1999 in Klagenfurt den 3sat­Preis gewonnen hatte. Ob Lyrik oder Prosa, wenn Uetz seine Texte vorträgt, erscheint einem alles als eine philosophisch brillant untermauerte leidenschaftliche Liebeserklärung an das Wort, die Sprache, die Liebe und den durch sie aufgehobenen oder erst recht zu seiner Bedeutung gebrachten Tod. Das gilt für die ekstatische Prosa von «Don San Juan» von 2002 und den wortmächtigen Gedichtband «Das Sternbild versingt» von 2004 ebenso wie für die beiden 2011 und 2012 im Zürcher Secession­Verlag erschienenen Bücher: den fantastisch ausufernden, sinnlich betörenden Liebesroman «Nur Du, und nur Ich» und das an Meister Eckhart gemahnende Schweizer Requiem «Sunder Warumbe». Wobei Letzteres sich bald einmal als eine verkappte Autobiografie erweist, die zeigt, wie es hat kommen können, dass dieser Autor immer wieder alle Grenzen von Vernunft und Verstand, aber auch von Form und Tradition zu überwinden und zu sprengen versucht.