Rätoromanisch made in USA: Warren Thew (10. April 1927 - 31. Dezember 1984)

Temp, silenzi, splers, mort - Zeit, Schweigen, Schmetterlinge, Tod: all das bestimmt die nachgelassenen, 1999 von seiner Witwe unter dem Titel «Prouvas da tschüffer spers» in Auswahl publizierten (und übersetzten) Gedichte eines Autors mit den Lebensdaten 1927-1984. Nicht dass der Amerikaner Warren Thew, weltweit bekannt als Pianist und Liedbegleiter, sich nicht schon früher auch mit Literatur befasst hätte. 3500 Gedichte soll der aus Fairport NY gebürtige, in seinen letzten Jahren in Kilchberg ZH domizilierte Musiker nebst 60 Kompositionen geschaffen haben, und wer ihn kannte, wusste, dass er die Sprache eines jeden Landes, in das er kam, mindestens rudimentär zu erfassen suchte. Die 230 ladinischen Gedichte, die er von 1981 bis 1984 verfasste, nachdem die Senter Primarlehrerin Leta Mosca ihn um die Vertonung von ein paar Liedern für ein rätoromanisches Gesangsbuch gebeten hatte, sind aber gleichwohl sensationell. Von einer schweren, eine weitere Konzerttätigkeit verunmöglichenden Krankheit getroffen, erschien es Thew auf einmal viel zu einfach und zu banal, englisch zu schreiben, und fielen ihm, angeregt durch Cla Biert und Jon Pult, plötzlich die Worte einer Sprache zu, die ihm Widerstand entgegensetzte und ihn zusammen mit den fremdartig tönenden Begriffen auch die Dinge neu sehen liess, die sie bezeichnen. «Wiedergeboren war ich - alles war neu... Ich wie ein Wanderer in einem nie entdeckten Land» , sagte er selbst über jene neun Monate, die seine letzten sein sollten und in denen er, zuerst noch mit der rechten, dann mit der linken Hand, ausschliesslich rätoromanisch schrieb. Wobei sich, wie durch ein Wunder, fröhlich Verspieltes wie die sieben Tiergedichte «Für Leta» mit Versen verbindet, in denen wie im Titelgedicht sein schweres Schicksal mit anklingt: «Poesia/ Prouvas/ da tschüffer / Splers/ Sur precipizis oura.» - «Dichtung: / Versuche / Schmetterlinge / zu fangen/ Über Abgründe hinweg.»