«Ungeduldiges Herz»: Ernst Stadler (1883-1914)

Die Schüler lesen «Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht». Den ganzen tragischen Ernst Stadlers aber enthüllt das Titelgedicht des Bandes «Der Aufbruch», den er im Frühjahr 1914 publizierte: kurz bevor der brillante 31jährige Germanist nach Studien und erster Lehrtätigkeit in Strassburg, Oxford und Brüssel eine Professur im kanadischen Toronto antreten sollte. Der Anfang - «Einmal schon haben Fanfaren mein ungeduldiges Herz blutig gerissen» - weist auf das Debüt von 1902 in der Zeitschrift «Der Stürmer» hin, als Stadler mit Flake, Schickele und Arp vergeblich die deutsch-elsässische Literatur zum Steigbügel der Avantgarde machen wollte. «Dann, plötzlich, stand Leben stille. Wege führten zwischen alten Bäumen/ Gemächer lockten. Es war süss zu verweilen» zielt auf das Jahr 1904, als der 21jährige den ganz im Zeichen Georges und Hofmannsthals stehenden, verspielt ästhetischen Lyrikband «Praeludien» publizierte. Der Schlussteil von «Aufbruch» aber feiert die expressionistische Ekstase, der er nach 5 Jahren Rückzug auf die akademische Karriere 1911 über Nacht verfiel: wie Heym, Benn und Trakl, deren unbedingtes Ja zur Gegenwart ihm ebenso imponierte wie die irrationale Emphase, die in ihrem irren Taumel nicht nur Technik, Tod und Teufel, sondern auch den Krieg mit in Kauf nahm: als Jungbrunnen der Menschheit und als Todesstoss für das verhasst-bigotte Wilhelminische Zeitalter. «Ich war in Reihen eingeschient, die in den Morgen stiessen, Feuer über Helm und Bügel/ Vorwärts, in Blick und Blut die Schlacht, mit vorgehaltnem Zügel. / Vielleicht würden uns am Abend Siegesmärsche umstreichen / Vielleicht lägen wir irgendwo ausgestreckt unter Leichen. / Aber vor dem Erschlaffen und vor dem Versinken/ würden unsre Augen sich an Welt und Sonne satt und glühend trinken», endet das Gedicht und prophezeit rauschhaft den Krieg, zu dessen ersten Opfern der Dichter selbst gehören sollte: am 30. Oktober 1914, als der eben mit dem Eisernen Kreuz I. Kl. bedachte Artillerieoffizier bei Zandvoorde in der Nähe von Ypern von einer englischen Granate zerfetzt wurde.