Schreiben oder Leben: Jorge Semprun (10. Dezember 1923 - 7. Juni 2011)

Nicht mal mit der berüchtigten Badewannentortur bringt die Gestapo 1943 in Auxerre Georges Sorel dazu, die Résistance-Gefährten zu verraten. Als Häftling 44904 kommt er nach Buchenwald, das er nur überlebt, weil ein deutscher Kommunist Stukkateur statt Student in die Kartei einträgt - und wo er sich angesichts des «absolut Bösen» vornimmt, «gegen das Vergessen dieser Vergangenheit zu schreiben. Denn die Toten brauchen keine Fahne mehr, aber einen reinen brüderlichen Blick und unser Gedenken.» Als er nach der Befreiung daran geht, das Erlebte in Worte zu fassen, gerät er jedoch an den Rand des Suizids und beschliesst 1946 in Ascona, «statt die mörderische Sprache des Schreibens das raue Schweigen des Lebens» zu wählen. Erst 12 Jahre später, als er erneut einem Maquis angehört und unter dem Namen Federico Sanchez die kommunistische Untergrundorganisation gegen Franco führt, fällt ihm das Schreiben ganz plötzlich zu. Als die Guardia Civil vor der Tür steht und er sein Madrider Versteck tagelang nicht verlassen kann, schreibt er in einem Zug den Roman «Le grand voyage» nieder. Er schildert den Transport nach Buchenwald, aber auch, was vorher und nachher geschah: die Flucht aus Spanien mit 13 Jahren, das Studium, den Kampf gegen Franco. Als «Die grosse Reise» 1963 erscheint, ist der Autor eben als angeblicher CIA-Agent aus der KP eliminiert worden und gibt die wahre Identität preis: Jorge Semprún, geboren am 10.Dezember 1923 in Madrid. Von da an gilt sein ganzes Engagement dem Schreiben gegen das Vergessen. In den erschütternden KZ-Romanen «Was für ein schöner Sonntag» (1980) und «Der Tote mit meinem Namen» (2002), in der Autobiographie «Schreiben oder Leben», die ihm 1994 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels einträgt, und in Büchern wie «Der zweite Tod des Ramón Mercader» (1969),«Algarabia» (1981) und «Der Weisse Berg» (1986), die seine Erfahrungen als militanter Antifaschist und seine Trauer über das Scheitern der kommunistischen Utopie zum Ausdruck bringen.