Josef Reinhart

"Grüess Gott! Mer chömen ab ein Land,
Hei nit so fyn Maniere;
Doch für nes Stündli chönnt ders jo
Emol mit üs probiere. «

So begannen jene Liedli ab ein Land, mit denen Josef Reinhart debütierte. Was Meinrad Lienert im Schwyzer, Adolf Frey und Sophie Haemmerli-Marti im Aargauer Dialekt bereits gelungen war, versuchte Reinhart 1897 nun auch auf Solothurnerdeutsch: die Mundart, bis dahin als bäurisch-derbes Stiefkind der Literatur verachtet, in den Dienst der Heimatkunstbewegung und der »Dichtung im Volkston« zu stellen. Der Erstling befriedigte zwar noch nicht so recht, aber der strebsame Primarlehrer und spätere Deutsch-Professor am Solothurner Lehrerseminar machte rasch Fortschritte, liess den Liedli 1901 auch Gschichtli ab em Land folgen und erfüllte mit mundartlichen Erzählbüchern wie Heimelig Lüt, Waldvogelzyte oder Dr Schuelheer vo Gummetal bald aufs schönste die Erwartungen, die sein unermüdlicher Berater Otto von Greyerz in ihn setzte.
Was tat es, wenn Reinhart sich auch an hochdeutschen Erzählungen versuchte und sich den Dank des Vaterlandes mit einer Vielzahl von Biographien berühmter Schweizer - darunter Mutterli, die etwas süsslich geratene Lebensgeschichte der Pestalozzi-Schülerin Lisette Uttinger - verdiente. Wichtig war vor allem, dass er das Solothurnische als schweizerische Dichtersprache salonfähig machte. »Was Sie in Ihren Liedern leisten«, triumphierte von Greyerz schon 1908, anlässlich einer Neuauflage der Liedli, »ist eine Erf'üllung meiner liebsten Wünsche; solche Lieder muss es geben, wenn Volkssprache und Volkskunst neu auferstehen sollen; sie sind ein notwendiger Beweis, dass die Volkssprache gesunde Lebenskraft besitzt. «

Ein Autor demnach, für den im Zuge der heutigen Dialektwelle ein Comeback fällig wäre? Obwohl Josef Reinhart seine Werke 1944-1955 noch selbst in einer elfbändigen Ausgabe des Sauerländer-Verlags für die Auferstehung eingemottet hat, erscheint dies mehr als fraglich. Findet heute der Dialekt nämlich Verwendung, um in der Werbung amerikanischen Lebensstil und jugendliche Unbekümmertheit zu propagieren oder in der Literatur die allzu glatte Oberfläche der Sprachkonventionen aufzubrechen, so erfüllte er bei Reinhart noch eine nur mehr schwer goutierbare heimatschützlerische, konservierende und restriktive Funktion. Nicht zuletzt durch seine Sprache sah sich Reinhart auf eine einzige Landschaft das Galmis bei Solothurn - und eine einzige Thematik - das Heimweh nach der Mutter - eingeengt. Und weil er zudem noch alles Negative und Zersetzende von dieser Welt fernhalten wollte, sind die meisten seiner Werke bei aller folkloristischen Originalität eben doch bloss schönfärberische, harmlose Idyllen geworden. Eines aber hat er wirklich getroffen: den Volkston! Sonst hätte wohl kaum ein Gedicht von ihm derart populär werden können, dass jedermann es für ein Volkslied hält: D'Zyt isch do, d'Zyt isch do!
(Literaturszene Schweiz)



Reinhart, Josef

* 1. 9. 1875 Galmis bei Rüttenen/Kt. Solothurn, † 14. 4. 1957 Solothurn. - Lyriker, Erzähler, Pädagoge.

Der Bauernsohn besuchte das Lehrerseminar Solothurn u. wurde dann Lehrer in Niedererlinsbach. Hier entstanden, gefördert u. warm begrüßt von Adolf Frey, Jost Winteler u. Otto von Greyerz, den Mentoren der im Gefolge der Heimatschutzbewegung entstehenden Schweizer Dialektdichtung, R.s Liedli ab em Land (Zürich 1897. Bern 21908) sowie Gschichtli ab em Land (Aarau 1901). Der Stillage dieser beiden Bücher blieb R., bei allem gesteigerten Qualitätsbewußtsein, auch treu, als er sich in Zürich, Berlin u. Bern zum Gymnasiallehrer weitergebildet hatte u. - 1912-1945 - Deutschlehrer an der Solothurner Kantonsschule war. R.s Prosabücher Heimelig Lüt (Bern 1905), Waldvogelzyte (ebd. 1917), Der Galmisbub (ebd. 1922), Lehrzyt (ebd. 1938) u. v. a. kreisen ebenso wie seine weitere Lyrik (z. B. Im grüene Chlee. Neui Liedli ab em Land. Ebd. 1913. 4., veränderte Aufl. 1927) um das Thema Heimweh nach der Mutter bzw. nach der verlorenen Kindheit u. sind schon durch den minutiös wiedergegebenen Dialekt auf die immer gleiche Landschaft des Galmis eingeengt, wo R. aufwuchs. Werner Günther erkennt das Geheimnis von R.s Popularität darin, daß er »wie auf der gemeindeutschen Ebene etwa ein Eichendorff auf der schweizerischen mit erstaunlichem Feingefühl den Volkston traf, jenen halb innigen, halb schelmischwitzigen, immer aber vertraulichen und unkompliziert schlichten Ton, der im anscheinend subjektiven Erleben und Sagen das allgemeine Erleben und Sagen spiegelt [...]«. Mit seinen hochdt., zumeist allerdings stark beschönigenden Lebensbildern von Pestalozzi, Gotthelf, General Suter, Graf Zeppelin oder Henry Ford war der Pädagoge R. zgl. ein vielgelesener Jugendschriftsteller.

WEITERE WERKE: Ges. Werke. 11 Bde., Aarau 1944-55.

LITERATUR: Solothurnerland - Heimatland. FS zum 70. Geburtstag v. J. R. Aarau 1945 (mit Bibliogr.). - Fritz Wartenweiler: Freu di! Aus dem Leben u. Schaffen v. J. R. Zürich 1955. - Paul Zinsli u. Otto Basler: J. R. Aarau 1958. - Peter Schönborn: J. R. Leben u. Werk. Diss. der Univ. Freib./Schweiz. Gedr. Winterthur 1964. - Werner Günther: J. R. In: Dichter der neuen Schweiz 2. Bern 1968. - Fred Reinhardt: J. R. Motive u. Persönlichkeit. Diss. Bern 1976.
(Bertelsmann Literaturlexikon)