Erotik und Sünde: Lucien Rebatet (15. November 1903 - 24. Dezember 1972)
Ohne Sünde keine Erotik, müsste die Quintessenz dieses Buches heissen. Denn die zwei Banner, die «Les deux étendards», 1952 in Paris erschienen, meint, sind diejenigen von Christus und Luzifer, und das Sündige bzw. Erotisch-Verführerische daran ist die Strategie, wie der Protagonist Michel Croz nach langem eigenem Schwanken zwischen religiöser und körperlicher Erfüllung die engelreine, keusche Anne-Marie in seine Arme bringt und mit ihr eine Erfüllung erlebt, wie sie in solcher Intensität und enthusiastischer Emphase kaum je beschrieben worden ist. Was ganz direkt damit zusammenhängt, dass für die zwei Anhänger der ultrakatholischen «Action française» die (aussereheliche) Liebe Sünde ist und damit einen Reiz besitzt, den sich die Kinder der sexuellen Revolution gar nicht mehr vorstellen können. Allerdings muss der lange Weg zur Lust auch vom Leser mitvollzogen werden muss, sind doch bis zum ersten Kuss der Liebenden gut 1000 von den 1135 Seiten zu lesen. Mit Überlegungen zu Kunst und Musik, Religion und Psychologie, die zum Brillantesten gehören, was die französische Literatur zu bieten hat. Warum aber ist der Roman, der 1955 unter dem Titel «Weder Gott noch Teufel» auch deutsch erschien, so vollkommen vergessen? Weil ein Tabu auf ihm lastet, hat ihn doch sein Autor, Lucien Rebatet, 1946-1950 im Zuchthaus geschrieben, nachdem der zum Tode verurteilte Vichy-Anhänger zu lebenslanger Haft begnadigt worden war...