Mehr als ein "Ramuz allegro": Robert Pinget
Klatsch gibt es von Robert Pinget, geboren am 19.Juli 1919 in Genf, gestorben am 27.August 1997 in Paris, keinen zu melden:
"Ich habe kein anderes Leben ausser dem Schreiben. Meine Existenz ist in meinen Büchern." Die aber ist aller Heiterkeit
zum Trotz radikaler und kompromissloser als die fast aller Autoren vor und nach ihm. Joyce, Proust, Döblin wollten den
Roman erneuern, um das zerfetzte 20. Jahrhunderts in ihm zu spiegeln, und fügten im Zeichen eines verlässlichen
Bewusstseinsstroms die Bruchstücke neu zusammen. Nicht so Pinget. Ihm ist schon die Erinnerung suspekt, und was er
vorbringt, ist die immer neu bekräftigte These, dass es über nichts und niemanden wirklich gesicherte Erkenntnisse
gibt. "Le Fiston", der erste authentischen Pinget-Roman von 1959, ist ein endloser konfuser Brief eines Vaters an sein
"Söhnchen", in dem das über eine Beerdigung Mitgeteilte immer neu in Frage gestellt ist und es nur weitergeht, weil
"ausserhalb des Geschriebenen der Tod ist". "L'inquisitoire" von 1962 ist ein völlig fruchtloses Verhör mit einem
tauben Butler über das Verschwinden eines Privatsekretärs. In "Quelqu'un" von 1965 enthüllt ein Gelehrter,
während er vergeblich nach einem verlegten Notizblatt sucht, den Alltag einer kleinen Familienpension in seiner ganzen
grotesken Komik. "Le Libera" (1968) ist in Anspielung an das "Libera me" des Requiems ein gebetshafter Redeschwall, der den
zugrundeliegenden Kriminalfall immer mehr relativiert. "Passacaille" (1969) ist ein "von Pausen und Glucksen unterbrochenes
Gemurmel" über den Tod eines Au-tors, während "L'Apocryphe" (1980) von einem unentzifferbaren Text handelt, in den
Generationen von Forschern ihre Deutungen hineinschrieben. Anders als im Nouveau Roman sind bei Pinget die Figuren stets
freundlich und positiv gesehen. Ein Umstand, der die Jury des Prix Rambert 1959 zum (vollkommen falschen) Schluss verleitete,
Pinget sei "eine Art Ramuz allegro, eingestimmt auf die genferische Lebhaftigkeit". Aber gegenüber Pinget ist Ramuz
provinziell, und wenn sich eines Tages die Spreu vom Weizen gesondert haben wird, dürfte erkennbar werden, dass der
Genfer zusammen mit Cendrars, Cingria und Walser zu den ganz grossen Schweizer Autoren des 20.Jahrhunderts zählte.