«La vie est brève/ un peu d’amour/ un peu de rêve/ et puis bonjour.» J. M. Brausen, 40, Werber, unglücklich verheiratet, träumt sich in eine erfundene Welt hinein. Im Drehbuch, das er ausheckt, nennt er sich Arce, fängt mit der Dirne Queca ein Verhältnis an und fühlt sich am Ende mitschuldig, als der Zu-hälter Ernesto sie erwürgt. Mit dem Mörder flieht er nach Santa María, wo eine weitere Figur lebt, in die er sich hineindenkt: Díaz Grey, ein Arzt, der einer toten Patientin wegen ebenfalls unter Mordverdacht gerät. Arce und Grey gewinnen soviel Ei-genleben, dass Brausen sich verflüchtigt. Keiner aber weiss, dass alle, Brausen inklusive, Geschöpfe des grillenhaften Bril-lenträgers Onetti sind, der im gleichen Büro wie Arce arbeitet. «La vida breve» war nicht der erste Roman des am 1.Juli 1909 in Montevideo geborenen Juan Carlos Onetti. Schon der Erst-ling «Der Schacht» war 1939 seines existenzialistischen Flairs wegen aufgefallen. Mit «Das kurze Leben» aber eröffnete er 1950 eine Serie, die mit ihrem Mix aus Surrealem und Realisti-schem prägend für eine ganze Epoche war. In «Leichensamm-ler»(1964) unterstützt Grey den smarten Larsen, der in Santa María mit hässlichen alten Dirnen ein Bordell eröffnet, aber am Ende davongejagt wird. In «Die Werft»(1961) ist Grey aktiv da-bei, als der in die Stadt heimgekehrte Larsen vergeblich ver-sucht, die verrottete Schiffswerft zu sanieren. In «Lassen wir den Wind sprechen»(1979) schliesslich steht Santa María selbst im Zentrum, als Grey und Kommissar Medina auf den Wind warten, der die Stadt niederbrennen soll. Zuvor aber wurde Medina von Larsen und Grey darüber aufgeklärt, dass Santa María nur eine Erfindung eines gewissen Brausen und dieser selbst bloss eine Romanfigur ist. «Das steht geschrie-ben. Weiter nichts. Es gibt keine Beweise.»
Juan Carlos Onetti starb am 30.Mai 1994 in Madrid, wohin er 1975 ins Exil gegangen war. 1974 war er in Uruguay im Ge- fängnis gesessen, weil eine Jury, der er angehörte, eine juntakritische Erzählung Nelson Mandelas prämiert hatte.