Arnold Ott

1897 war es soweit: die Schweiz sollte ihr Nationaltheater und Luzern eine Art Bayreuther Festspielhaus bekommen. Das Festspiel hiess Karl der Kühne und die Eidgenossen und stammte von Arnold Ott, einem Schaffhauser, der in Luzern als Arzt praktizierte. Als der Stadtrat mit ihm das Projekt besprach, klopfte ein etwas korpulenter Magistrat dem Dichter mit den Worten »Ganz Shakespeare!« anerkennend auf die Schulter, worauf Ott sich umdrehte, dem Stadtrat seinerseits auf die Schulter schlug und sagte: »Ganz Specktier!« - Womit die Luzerner Ott-Festspiele ihr abruptes Ende fanden.
Aber nicht nur mit den Schweizer Mitbürgern, auch mit dem Herzog von Meiningen, der ihm und seiner Agnes Bernauer 1889 erstmals zu Bühnenehren verholfen hatte, überwarf sich Ott in seiner direkten, unwirschen Art. Selbst Gottfried Keller wusste er derart zu reizen, dass dieser ihn »Fürstenknecht« schimpfte - eine Beleidigung, mit der Ott selbst später seine Freundschaft mit Josef Viktor Widmann beendete, nachdem er ihm beim Dramenschreiben geholfen und ihm Zugang zum Meininger Hoftheater vermittelt hatte. Der Feuerkopf Ott verdarb es schlicht mit allen, und nicht einmal das Volk, das ihm zwischen 1895 und 1904 in Altdorf, Diessenhofen, Schaffhausen und Zürich-Wiedikon nach monumentalen Festspielaufführungen zugejubelt hatte, hielt ihm die Treue. Verbittert und vergessen starb Ott am 30. September 1910 mit knapp 70 Jahren in Luzern.
Ein genialer Dramatiker, der seinem Nachruhm selbst im Wege stand? Wohl kaum. Zwar glaubten Zeitgenossen wie Heinrich Federer an ein posthumes Ott-Comeback, aber schon der Biograph Eduard Haug musste 1923 eingestehen, dass Otts Poesie »nicht die Poesie von heute« sei. Eine Einsicht, an der auch die Ott-Gesamtausgabe von 1944/49 wenig änderte. Den Wechsel auf die Zukunft hat Ott sich auf den Plüschsofas des Meininger Hoftheaters und im patriotischen Taumel von schweizerischen Festplätzen verscherzt. Gerade weil er den Geschmack seiner Zeit treffen wollte, waren seine Stücke schon bei ihrer Niederschrift stofflich und formal überlebt. Dramen wie Die Frangipani, Rosamunde oder Grabesstreiter lesen sich bestenfalls noch als historische Reminiszenzen - und auch dann nur mit Überwindung! Ein einziges Stück wäre heute wohl noch mit Erfolg aufführbar: Untergang von 1898, die naturalistische Verarbeitung von Otts Erlebnissen als Neuhauser Fabrikarzt. Das packende, an Hauptmanns Weber erinnernde soziale Drama, das wie jenes im Deutschen Reich verboten war und seiner »Tendenz« wegen auch in der Schweiz keine Chance hatte, endet mit dem freiwilligen Gastod einer Handwerkerfamille, die am Manchestertum des Hochkapitalismus verzweifelt ist. »Gestorben am Dunst des untergehenden Jahrhunderts«, sagt der Arzt, ehe der Vorhang fällt. Eine Diagnose, die auch auf Arnold Ott selbst, diesen hochgemuten, in seinem besten Wollen gescheiterten Schweizer Dramatiker, nicht schlecht zutreffen würde.
K. E. Hoffmann gab 1944-1949 bei Benteli, Bern, eine sechsbändige Gesamtausgabe von Otts Werken heraus.
(Literaturszene Schweiz)

Ott, Arnold

*Vevey 5.12.1840, †Luzern 30.9.1910, Arzt und Dramatiker. Nach dem Schulbesuch in Schaffhausen studierte O. Architektur, Chemie und Medizin (Dr. med. 1867). Bis 1876 in Neuhausen am Rheinfall, dann in Luzern führte er eine Praxis als Augenspezialist. Shakespeare und das Meininger Hoftheater inspirierten O. ab 1887 zu eigener dramt. Produktion. Er wandte sich dem damals in Mode gekommenen, auf Laienschauspieler zugeschnittenen histor. Festspiel zu. Bereits der »Festakt zur Enthüllung des Telldenkmals« (1895), v.a. aber das monumentale, bilderbogenartige Schauspiel »Karl der Kühne und die Eidgenossen« (1897, UA 1900) und das »Festdrama zur 4. Jahrhundertfeier des Eintritts Schaffhausens in den Bund der Eidgenossen« (1901) lockten die Zuschauer zu Tausenden zu den eigens dafür präparierten Freilicht-Festspielplätzen von Altdorf, Diessenhofen (TG), Wiedikon (ZH) und Herblingen (SH). Weitere Misserfolge dagegen erntete O. mit Stücken für das Berufstheater, etwa mit der auf einer Schaffhauser Sage beruhenden Tragödie »Grabesstreiter«. Er lebte zuletzt unter prekären wirtschaftl. Verhältnissen und war bereits zu Lebzeiten weitgehend in Vergessenheit geraten. Während einer Phase der forcierten nat. Rückbesinnung erschien eine O.-Gedenkausgabe (6 Bde., 1945-49). … Lit.: Winkler, E.: A.O., Arzt und Dichter, Diss., Zürich 1983. "C.Li. _001
(Schweizer Lexikon)


Ott, Arnold

* 5. 12. 1840 Vevey/Kt. Waadt, † 30. 9. 1910 Luzern. - Dramatiker, Lyriker.

Der Handwerkerssohn wuchs als Pflegekind bei Verwandten in Schaffhausen auf u. studierte ab 1856 Architektur, Chemie u. Medizin in Stuttgart, Tübingen u. Zürich (Dr. med. 1867). Anschließend führte der Vater von sechs Kindern zunächst in Neuhausen/Kt. Schaffhausen u. ab 1876 in Luzern eine Praxis als Augenarzt. Nachdem er bis dahin nur Gedichte u. Theaterkritiken publiziert hatte, sah er 1887, beeindruckt durch ein Basler Gastspiel des Meininger Hoftheaters, seine Stunde als Dramatiker gekommen. In wenigen Wochen beendete er seine bereits früher entworfene Tragödie Konradin (Erstdr. in der Gesamtausg. Bern 1945-49) u. übersandte sie dem Herzog von Meiningen. Obwohl er mit dem bilderbogenartigen Historienspiel Deutschland eine »Gegengabe für den Tell« bieten u. jener »Verherrlichung schweizerischen Freiheitssinns« eine »Schilderung deutschen Heldentums und deutscher Treue« (an Gottfried Keller) gegenüberstellen wollte, stieß er in Meiningen auf Ablehnung, erreichte dann jedoch während einer persönl. Begegnung mit dem Herzog in Seelisberg für 1889 eine Aufführung seines zweiten Stücks, Agnes Bernauer (Stgt. 1889). Anders als Hebbel, der die Machtlosigkeit des einzelnen einer unbarmherzigen Staatsräson gegenüber faßbar machte, beschränkte sich O. auf die nicht standesgemäße, tragisch endende Liebesbeziehung, beließ die Figuren aber ebenso schemenhaft blutleer wie die Handlung statisch u. ohne zwingenden Ablauf. Für sein drittes Stück, die von Josef Viktor Widmann begeistert begrüßte Völkerwanderungstragödie Rosamunde (Bern 1892), fand er zwar einen Verlag, aber keine Bühne, weshalb er sich von da an stärker dem Laientheater zuwandte. Nationale Berühmtheit erlangte er dabei mit dem allegorisch-kantatenhaften Festakt zur Enthüllung des Telldenkmals (Altdorf 1895), während er mit Karl der Kühne und die Eidgenossen (Luzern 1897), einem Festspiel, das die drei großen Schlachten der Schweizer gegen den Burgunderherzog in tumultuar. Massenszenen auf die Bühne brachte, in Diessenhofen/Kt. Thurgau u. Wiedikon/Kt. Zürich 1900 u. 1904-1905 einen großen Publikumserfolg erzielte. Größte Hoffnungen setzte O. auf die sentimental-blutrünstige »Sagen-Tragödie« Grabesstreiter (Luzern 1898), die dann aber nicht nur bei den Meiningern, sondern auch bei Widmann keine Gnade mehr fand. O.s eher malerischem als dramat. Talent wiederum besser adäquat war das revueartige Festdrama zur 4. Jahrhundertfeier des Eintritts Schaffhausens in den Bund der Eidgenossen (Schaffh. 1901), das im Sommer 1901 auf einer riesigen Freilichtbühne bei Herblingen Triumphe feierte. O.s letzte Arbeiten waren das Napoleon-Stück St. Helena (Zürich 1904), das in Bern u. Basel Aufführungen erlebte, sowie die zu Lebzeiten ungedruckte Tragödie Hans Waldmann. Obwohl sein Œuvre insg. nur noch von histor. Interesse ist, zeugen doch einzelne Szenen wie der in Urner Dialekt gehaltene zweite Akt von Karl dem Kühnen, Die Hochzeit in Uri, oder der vierte Akt von Konradin, der als Die Frangipani (Luzern 1897) auch in Meiningen erfolgreich gespielt wurde, vom genialen, wenngleich nicht wirklich zur Entfaltung gelangten Talent dieses trag. Dichters.

AUSGABEN: Dichtungen. Hg. Karl Emil Hoffmann. 6 Bde., Bern 1945-49. - Nachlaß: Schweizer. Landesbibl. Bern.

LITERATUR: Eduard Haug: A. O. Eine Dichtertragödie. Zürich 1924. - Werner Günther: A. O. In: Dichter der neueren Schweiz I. Bern 1963. - Eric Winkler: A. O. Arzt u. Dichter. Diss. med. Zürich 1983.
(Bertelsmann Literaturlexikon)