Schreiben als Ersatzhandlung für Selbstmord: Hans Erich Nossack (30. Januar 1901 - 2. November 1977)

Hat Deutschland den am 2.11. 1977 mit 76 Jahren verstorbenen Hans Erich Nossack deshalb so rasch vergessen, weil das, was sein Werk verkündet, keiner mehr wissen will? Inhaber einer Kaffee-Import-Firma, wurde er 1943 durch die Zerstörung Hamburgs über Nacht zum Dichter. Zeugnis davon ist «Der Untergang», den Sartre mit Betroffenheit aufnahm, und auch «Nekyia», der Roman-Erstling von 1947, ist ganz von dieser Katastrophe geprägt, durch die für Nossack nicht nur eine Stadt, sondern «die Zeit zerbrochen» war. Stilistisch machte er die «Stunde Null» allerdings nicht mit. Obwohl karg wie die von Beckett, verwendet seine Sprache, um von der Apokalypse zu künden, die Möglichkeiten grosser Tradition. «Spirale. Roman einer schlaflosen Nacht»(1956) evoziert die ausweglos kreisenden Gedanken eines Schuldigen, der sich selbst zu begnadigen sucht, wie in einem antiken Drama. «Der jüngere Bruder» (1958) stellt die vergebliche Suche eines Amerikaheimkehrers nach einem Mann dar, der ihm am Ende nichts als den Tod bringt. Was er nicht versteht, ist dabei die Tatsache, dass das nach 1945 endgültig kompromittierte Europa noch immer «Bildung, Kultur, Idealismus, Pietät» repräsentieren will. Am schwärzesten ist Nossacks Weltsicht vielleicht in «Bereitschaftsdienst. Bericht über die Epidemie» von 1973, wo von einer rätselhaften Suizidepidemie die Rede ist, gegen die einzig Strafgefangene noch gefeit sind. Wie die 1997 edierten «Tagebücher 1943-1977» zeigen, war Nossacks Pessimismus nicht Pose, sondern inneres Erlebnis. Während Deutschland die Nazizeit und den Holocaust nur allzuschnell verdrängte, verfolgte die unbewältigte dunkle Vergangenheit den Schriftsteller wie ein unheilbares fatales Trauma. «Warum geht einem der Tod eines solchen Kollegen so nahe», fragte er sich, als Paul Celan 1970 Selbstmord verübte, und gab sich selbst die Antwort: «Weil einem bewusst wird, dass das Schreiben eines Buches nur eine Ersatzhandlung für Selbstmord ist.»