Schreiben für künftige Leser: Pablo Neruda (17. Juli 1904 - 24. September 1973)

«Ich schreibe diese raschen Zeilen für meine Memoiren 3 Tage nach den empörenden Ereignissen, die zum Tod meines Gefährten, des Präsidenten Allende, führten», steht auf der letzten Seite von Pablo Nerudas Buch «Ich bekenne, ich habe gelebt». Der Arzt hatte dem Kranken die Hiobsbotschaft des 11.September 1973 vorenthalten wollen, aber er hörte am Sender Radio Mendoza davon und fügte den Memoiren das Kapitel «Allende» hinzu, ehe er zusammenbrach und von Isla Negra ins Spital von Santiago gebracht wurde, wo er am 23.September 1973 starb - gerade noch rechtzeitig, um das Asylangebot des mexikanischen Präsidenten Echeverria nicht annehmen zu müssen. Dass er der Politik zum Opfer fiel, ist nicht Zufall. Seit dem Spanischen Bürgerkrieg, seit er der «reinen» seiner Anfänge die «unreine Dichtung», «von Handarbeit abgenützt wie von einer Säure, von Schweiss und Dunst durchzogen», entgegenstellte, hatte er sich leidenschaftlich für die Weltrevolution und den Aufstand der Dritten Welt engagiert und konnte selbst als Liebender nicht davon absehen: «In deiner Umarmung umarme ich, was existiert, / den Sand, die Zeit, des Regens Baum, // und alles lebt, auf dass ich lebe.» Und obwohl er nach 1960, die inzwischen publik gewordenen Greuel des Stalinismus vor Augen, vom Kommunismus abrückte, blieb er doch seiner kämpferischen Haltung bis hin zu der im Todesjahr verfassten «Incitación al nixoncidio» («Anstiftung zum Nixonmord») treu. Sein Schönstes, Ergreifendstes hat Neruda in der lyrischen Autobiographie «Memorial de Isla Negra» von 1964 geschaffen, jenen Gedichten, die wortmächtig beweisen, dass grosse Lyrik nicht Sonntagskunst, sondern existenzielles Ringen mit sich selbst und der Welt ist. Und seine Leser? Die sind, der eigenen Einschätzung nach, angesichts von siebzig Millionen lateinamerikanischen Analphabeten noch gar nicht geboren...