Mit ihm begann das Zeitalter der Kindfrau: Vladimir Nabokov (23. April 1899 - 2. Juli 1977)

«Lolita, light of my life, fire of my loins. My sin, my soul. Lo-lee-ta: the tip of the tongue taking a trip of three steps down palate to tap, at three, an the teeth. Lo. Lee. Ta.» So beginnt das Buch, mit dem 1955 literarisch das Zeitalter der Kindfrau eröffnet wurde. Das auf David Hamiltons Fotos verschämt zum Bild gerann, bis es in Werbung und Mode allgegenwärtig wurde. Der Roman des damals 56jährigen, seit 1945 als Amerikaner naturalisierten Russen Vladimir Nabokov erhielt schon durch sein Erscheinen beim Pariser Underground-Label Olympia-Press einen skandalösen Touch, provozierte das prüde Eisenhower-Amerika aber unbedingt auch mit seiner Story. Lolita ist ein Nymphchen zwischen 12 und 14 Jahren, das mit seinem Stiefvater, dem 48jährigen Philologen Humbert Humbert, ebenso freiwillig wie berechnend eine Beziehung eingeht, die ihren Höhepunkt während eines Jahres erreicht, in dem die beiden nach dem Tod von Lolitas Mutter quer durch Amerika von Motel zu Motel reisen. Der Dämonie der Kindfrau restlos hörig, muss Humbert zuletzt erleben, wie sie von einem andern Intellektuellen entführt und geschwängert wird. Als er sie drei Jahre später «blass und besudelt» wiederfindet, erschiesst er den Rivalen und gibt die brisante Lovestory im Gefängnis zu Protokoll. Anders als der Skandal vermuten lässt, ist «Lolita» ein hochkomplexes, virtuos mit Bezügen zur Weltliteratur spielendes Werk von (vor allem auch) psychologischer Meisterschaft: die Darstellung einer Leidenschaft, die auf tragische Weise nur in der Zerstörung ihres Objekts Erfüllung finden kann. Dass ein gewisser Heinz von Lichberg schon 1916 eine Novelle verfasste, die gewisse Motive des Romans verdächtig ähnlich vorwegnahm, ändert im übrigen nichts am Umstand, dass Nabokov 1955 genau richtig lag: Indem er dem Nachholbedürfnis von Männern, die 10 Jahre nichts als Uniformen und Blut gesehen hatten, ein erregendes literarisches Idol vor Augen stellte.