Sie wollte religiös dichten: Gertrud von Le Fort (1876-1971)

Veronika, «Spiegelchen» genannt, wächst in Rom bei ihrer Grossmutter auf, die «mit der Ewigen Stadt den mystischen Bund eines geistigen Heimatverhältnisses» geschlossen hat. Aber da ist auch Ezio, der junge Dichter, der in Rom jenen «Weltrausch» zu verspüren meint, der ihn eines Tages dem Faschismus in die Arme treiben wird. Und da ist nicht zuletzt die exzentrische Tante Edelgart, die erst konvertieren will, dann aber zur hasserfüllten Kirchengegnerin wird und auch Veronikas sich anbahnende Konversion verhindern will. Als sie sich dennoch taufen lässt, versucht Edelgart sie im Wahnsinn mit einem Kreuz zu erschlagen, bringt sich aber selbst tödliche Verletzungen bei. Veronika aber, die von ihrer Grossmutter gelernt hat, dass «nur kraftvolle und geschlossene Persönlichkeiten es wagen können, sich völlig hinzugeben und dass zum wirklichen Gehorsam eine grosse, innerlich freie Seele gehört», wird bei ihrem Glauben bleiben und auf ihrem Gesicht das Antlitz Christi in die Welt hinaus tragen - wie ihre Namenspatronin auf deren legendärem Tuch! Wenn es möglich ist, mit den Mitteln des Romans Mission zu treiben und das mystische Flair manifest zu machen, das der katholischen Religion (gerade auch in Rom) durchaus eigen sein kann, dann ist das in dem Roman «Das Schweisstuch der Veronika» gelungen, den die preussische Offizierstochter Gertrud von Le Fort 1928 kurz nach ihrer Konversion publiziert hat. Ist diese Veronika doch anders als ihre Schwestern in «Die ewige Frau» (1934) oder Blanche, «die Letzte am Schafott» (1931) nicht ein fast schon masochistisches Opfer der Männerwelt, sondern eine freie, bewusst wählende Persönlichkeit. Stärker als die (missglückte) Fortsetzung «Der Kranz der Engel», die 1946 während Gertrud von Le Forts Schweizer Aufenthalt herauskam, setzt «Das Schweisstuch der Veronika» die kraftvoll-euphorische Glaubenszuversicht in erzählende Prosa um, die die Dichterin 1924, noch als Protestantin, in ihren «Hymnen an die Kirche» erstmals hatte laut werden lassen.