Dunkle Idyllen: Frido Lampe (8. Dezember 1898 - 2. Mai 1945)

«Nachmittags so gegen vier Uhr war der Ballon in der Nähe von Osnabrück in die Luft gestiegen, und nun glitt er sanft durch den stillen blauen Raum, schöne weisse runde Wolken glitten neben ihm her, und da unten lag, unendlich weit gebreitet, das grüne Wiesland.» Herr Gyldenlöv und seine Tochter Tine sind mit einem Ballonführer auf dem Weg nach Dänemark, werden jedoch über einer Stadt, hinter der sich Bremen verbirgt, durch die Windstille vor einem Gewitter ein paar Abendstunden lang aufgehalten und blicken durch das Fernglas auf das Treiben der Menschen. Auf den fernwehkranken Leutnant Charisius und seine Braut, auf den gehässigen Drachen-Emil, die Jugend-Gang von Dickie Brent, die tote Marie Olfers, die unentdeckt in einem Gebüsch liegt. Wie kleine Filmsequenzen schieben sich die Schicksale und Bilder ineinander: eine Idylle, die allerdings ebenso von etwas Dunklem, Fürchterlichem bedroht ist wie der warme Sommerabend von dem Gewitter, das sich bald entladen wird. Wie die 1937 erschienene Erzählung «Septembergewitter» bekräftigen fast alle Texte von Friedo Lampe das Hofmannsthal-Motto, das er 1934 dem Erstling «Am Rande der Nacht» vorangestellt hatte: «Viele Geschicke weben neben dem meinen, durcheinander spielt sie alle das Dasein.» Stiftersche Melancholie, traumhafte, fast impressionistische Leichtigkeit, Kühnheit der Anlage und Dramaturgie: das sind die Qualitäten dieses Autors, der wie seine Figuren ahnungsvoll zwischen den Zeiten lebte, 1899 in Bremen zur Welt gekommen war Literatur und Kunst studierte und spät zu schreiben begann. Kaum je hat ein anderer Autor die deutsche Sprache bei aller Realistik so halluzinatorisch, so suggestiv einzusetzen gewusst, wie dieser traurig-pessimistische Nachfahre der Romantiker, der zwei Bändchen und ein paar Entwürfe hinterliess, als er am 2.Mai 1945, dem Tag der russischen Eroberung Berlins, in Klein-Machnow erschossen wurde. Russische Soldaten hatten ihn für einen SS-Mann gehalten...