Vom Häftling zum Erfolgsautor: O. Henry (1862-1910)

Am 11.September 1862 als Arztsohn im kalifornischen Greensboro geboren, «studierte» William Sidney Porter den american way of life bis zum Exzess: als Cowboy, Apothekenhelfer, Initiant des erfolglosen Satire-Magazins «The Rolling Stone», Bankangestellter unter Veruntreuungsverdacht und Insasse des Zuchthauses von Ohio. In letzterem stiess er in einem Medizinbuch auf den Namen O.Henry und begann unter diesem Psyeudonym Dinge, die er erlebt hatte, Typen, die erkannte, in jene träfen «Short Stories» zu verpacken, mit denen er zwischen seiner Entlassung im Jahre 1902 und seinem Tod am 5. Juni 1910 zum populärsten und erfolgreichsten amerikanischen Autor seiner Zeit wurde. Die Metropole New York und ihren Alltag, aber auch ihren Slang und ihre Atmosphäre evozierten auf sehr direkte Weise die Geschichten, die Woche für Woche im «Sunday Magazine» ein Millionenpublikum fanden und dann in Sammelbänden wie «The four Million» - die Einwohnerzahl New Yorks um 1900 - in Buchform erschienen. Wie er selbst sehnen sich seine Figuren aber immer wieder weit weg von Amerika, und so lässt er eine Reihe von ihnen in die fiktive südamerikanische Stadt Coralio auswandern, wo der Traum vom Paradies dann aber wie eine Seifenblase platzt. Gesammelt sind diese «Ausland-Geschichten» im 1904 publizierten Band «Cabages and Kings» /«Kohlköpfe und Könige», und eine der besten von ihnen heisst schlicht «Schuhe». Deren Protagonist ist ein gewisser John de Graffenreid, den das Schicksal als US-Konsul in eben jenes Coralio verschlagen hat. Da ertränkt er den Liebeskummer um eine gewisse Rosine in einem immerwährenden Suff, bis eines Tages ein Greenhorn aus den Staaten anfrägt, ob Coralio gut für einen Schuhladen wäre. De Graffenreid macht sich einen Spass daraus, den Kerl mit einem Schiff Schuhe in ein Land kommen zu lassen, wo noch alles barfuss geht - und erkennt erst viel zu spät, dass er mit der Intrige ausgerechnet Rosine und ihren Vater genasführt hat.