Erwin Heimann

Paris, seit jeher ein kultureller Anziehungspunkt, hat auf Schweizer Autoren von Bosshart und J. C. Heer über Schaffner, Zollinger und Guido Looser bis hin zu Paul Nizon immer wieder mächtig anregend gewirkt. Keiner aber ist auf eine so direkte und intime Weise an Paris zum Schriftsteller geworden wie der Berner Erwin Heimann. 1932/33 lernte er die Stadt hautnah kennen, aber nicht als Kulturbeflissener, sondern als Mechaniker und arbeitsloser Fremdarbeiter! Um sich Geld zu verschaffen, begann er seine Erfahrungen für Schweizer Zeitungen zu Artikeln zu verarbeiten, ja, als die Kriegerwitwe Monique für ihn eine Rolle zu spielen begann, wagte er sich sogar an einen Roman. Und tatsächlich, Heimann schaffte es! Nach einem Vorabdruck in der Tagwacht erschien der Erstling des vierundzwanzigjährigen Arbeiters unter dem Titel Wir Menschen 1935 im Berner Feuz-Verlag.
Es ist eine Liebesgeschichte mit unglücklichem Ausgang. Xander, ein junger Arbeiter, verliebt sich in die Pariserin Monique, die wesentlich ältere Witwe eines Weltkriegssoldaten. Nach einer Zeit intimer Gemeinsamkeit lässt Xander die Geliebte sitzen, weil er in der Schweiz wieder Fuss gefasst und eine »gute Partie« gemacht hat. Monique bringt sich um, und Xander, von Schuldgefühlen geplagt, will es ihr nachtun, als die positiven Kräfte in ihm obsiegen und er sich bereit findet, die ideale Liebe einem nüchternen Alltagspragmatismus zu opfern. Wir Menschen ist noch kein Meisterwerk, aber der Roman ist als munterer Einstieg eines strebsamen Autodidakten in die Welt der Literatur nach wie vor ein unterhaltsames Lesevergnügen. Obwohl er politisch viel harmloser ist als Heimanns zweites Buch, die romanhafte Darstellung des Zürcher Heizungsmonteurenstreiks von 1931, die unter dem Titel Hetze 1937, rechtzeitig zum Abschluss des sogenannten Friedensabkommens, erscheinen sollte, wurde Wir Menschen 1935 in Deutschland verboten und im autoritären Österreich gar als unmoralisch auf den Index gesetzt!
Heimanns Autobiographie Ein Blick zürück (1974) bietet heute die Möglichkeit, Dichtung und Wahrheit auseinanderzuhalten. Dabei stellt man fest, dass fast alles wirklich erlebt ist - bis auf den tragischen Schluss. Die Kriegerwitwe Monique nahm natürlich die Untreue des wieder solid gewordenen Schweizers mitnichten so tragisch, dass sie deswegen dem angenehmen Pariser Leben adieu gesagt hätte. Sie empfing den schlaksigen Berner Schriftsteller samt Ehefrau und Kindern auch später und bis zu ihrem Tode immer wieder gerne in ihrem gemütlichen Pariser Domizil. Auch die »Rivalin« aber war in Wirklichkeit nicht einfach eine farblose »gute Partie«, sondern die phantasiebegabte Kinderschriftstellerin Gertrud Heizmann. Und die beiden Schriftsteller führen in ihrem Bilderbuch-»Stöckli« im Berner Oberländer Dorf Heiligenschwendi auch mehr als fünfzig Jahre später noch immer eine Ehe miteinander, die beweist, dass es im Leben auch mal besser herauskommen kann als im Roman.

Wir Menschen ist zuletzt im Viktoria-Verlag, Bern, erschienen.
(Literaturszene Schweiz)

Heimann, Erwin

*Bern 20.2.1909, †Heiligenschwendi (BE) 21.8.1991, Schriftsteller. Urspr. Mechaniker, begann der Eisenbahnersohn während eines Parisaufenthalts Reportagen und Feuilletons zu schreiben. In Paris schrieb er auch seinen ersten Roman, »Wir Menschen« (1935), der die Unvereinbarkeit von Idealismus und nüchternem Wirklichkeitssinn gestaltet. Dieser Pragmatismus obsiegt auch in H. zweitem Roman, dem auf den Erfahrungen des Zürcher Heizungsmonteurenstreiks von 1932 beruhenden Arbeiterroman »Hetze« (1937). Das Gebot zur Versöhnlichkeit, das der Autor angesichts der zeitgenöss. Bedrohungen der Klassenkampfstrategie Streik gegenüberstellt, korrespondiert augenfällig mit jener kollektiven Bewusstseinsänderung der schweiz. Linken, wie sie zu gleicher Zeit im sog. Friedensabkommen und im sozialdemokrat. Ja zur Landesverteidigung zum Ausdruck kam. Obwohl er auch mit Kritik nicht zurückhielt und früh mit Vehemenz umwelt- und sozialpolit. Anliegen vertrat, blieb H. auch später als Autor wie als Publizist und polit. engagierter Staatsbürger diesem helvet. Pragmatismus treu. Nach dem Krieg machte H., der lange als Verlagslektor in Bern arbeitete, ehe er sich mit seiner Frau, der Kinderbuchautorin Gertrud Heizmann, nach Heiligenschwendi zurückzog, immer wieder mit Romanen, Theaterstücken und Hörspielen von sich reden, die ihren Stoff unmittelbar aus der aktuellen polit. und gesellschaftl. Diskussion bezogen: u.a. »Der letzte Optimist« (R., 1948), »Hast noch der Söhne ja...« (R., 1956), »Wie sie St.Jakob sah« (R., 1970), »Sturmzyt« (Hörfolge, 1964), »Der Fall Oppliger« (Hsp., 1965). Der Dialekterzählung wandte sich H., dem die Erhaltung einer hochdt. Sprachkultur in der Schweiz stets ein Anliegen war, erst 1988, mit dem Erzählbd. »Wätterluft«, zu. Bereits 1974, mit »Ein Blick zurück«, erstattete H. in kulturgeschichtl. ergiebiger Weise von seinem eigenen Leben und Schaffen Bericht. (Schweizer Lexikon)


Heimann, Erwin

* 20. 2. 1909 Bern. - Erzähler, Dramatiker, Essayist.

Der Sohn eines Eisenbahners arbeitete in Bern kurze Zeit in seinem Beruf als Mechaniker, ehe er nach Paris übersiedelte. Er fand eine Stelle als Monteur, begann aber daneben Reportagen für Schweizer Zeitungen zu schreiben. 1932 kehrte er, arbeitslos geworden, in die Schweiz zurück u. wurde als Heizungsmonteur in Zürich direkt beteiligter Zeuge eines damals vieldiskutierten Arbeitskonflikts. Wieder in Paris, schrieb er in sechs Wochen seinen ersten Roman, Wir Menschen (Bern 1935. Neuausg. 1980). Das Buch, das in Deutschland aus polit. u. in Österreich aus sittl. Gründen verboten wurde, erzählt von einem politisch links engagierten Schweizer namens Xander, der in Paris ein Verhältnis mit einer Kriegerwitwe unterhält, die Geliebte jedoch sitzenläßt, als er in der Schweiz eine bessere Partie findet. Die Witwe bringt sich um, u. er will es ihr zunächst nachtun, erkennt dann aber, daß ein nüchterner Pragmatismus höher einzuschätzen sei als die Forderungen einer idealistischen Liebe. Hetze (Bern 1937), H.s zweites Buch, ist ein eigentl. Arbeiterroman, zieht aber aus den Erfahrungen des Zürcher Monteurstreiks von 1932 den Schluß, daß angesichts der faschistischen Bedrohung nicht Klassenkampf, sondern Aussöhnung das Gebot der Stunde sei. Solchem helvet. Pragmatismus, angereichert um einen nie völlig unkrit. Patriotismus, sind auch H.s weitere Romane verpflichtet, die er während u. nach dem Krieg als Verlagslektor in Bern schrieb: u. a. Welt hinter Wäldern (Bern 1943. 1954), Der Mut zum Glück (Bern 1945. 1965), Der letzte Optimist (Bern 1948. 1964), Hast noch der Söhne ja... (Bern 1956. 1960), Wie sie St. Jakob sah (Bern 1970). Seit den 60er Jahren war H., der eher als polit. denn als literar. Autor von Bedeutung ist, mit histor. u. sozialkrit. Hörfolgen (z.B. Sturmzyt. 1964. Der Fall Oppliger. 1965) auch erfolgreich als Rundfunkautor tätig. Nachdem er sich lange dagegen gewehrt hatte, fand H. in Büchern wie Wätterluft (Bern 1988) in hohem Alter noch zum Erzählen im Berner Dialekt. Seine Autobiographie hat er mit Ein Blick zurück (Bern 1974) geliefert. Immer wieder war H., der mit der Kinderbuchautorin Gertrud Heizmann verheiratet ist u. in Heiligenschwendi/Thun lebt, als konsequenter Vertreter seiner Generation ein verläßl. Gesprächspartner für die jüngeren Schweizer Schriftsteller.
(Bertelsmann Literaturlexikon)