Alfred A. Häsler 1921 –2009

Was haben Karl Barth, Ben Gurion, Ernst Bloch, Herbert Marcuse und Leopold Senghor gemeinsam? Dass sie alle mit einem Journalisten befreundet waren, der bloss einen Primarschulabschluss vorzuweisen hatte und den sie, nachdem er ihnen als Interviewer seine einfachen Fragen gestellt hatte, gleichwohl nicht mehr vergessen konnten. Mit den Interviews für die «Tat», die «Weltwoche» und das Schweizer Fernsehen ist der am 19. März 1921 in Wilderswil BE geborene und am 7. April 2009 in Zürich verstorbene Alfred A. Häsler populär geworden. Seine folgenreichste Leistung aber war das aus einer Artikelserie in der «Tat» hervorgegangene Buch «Das Boot ist voll», mit dem er 1967 unter Nutzung des Archivs des Schweizerischen Schriftstellervereins (SSV) die Schicksale der in die Schweiz geflüchteten und vielfach wieder an die Grenze gestellten Verfolgten des Naziregimes auf eine Weise aufarbeitete, die das helvetische Selbstverständnis grundlegend veränderte und in der Verfilmung durch Markus Imhoof sogar bis nach Hollywood Furore machte. Häsler, der damals Präsident des SSV war und 24 weitere Bücher zu sozialen, politischen und kulturellen Fragen veröffentlicht hat, gehörte aber keineswegs zu jenen, die erst im Nachhinein zu Kritikern der beschämenden Flüchtlingspolitik zwischen 1933 und 1945 wurden. Schon 1939 hatte der achtzehnjährige Interlakner Typografenlehrling damit begonnen, in der «Nation» und im «Oberländer» leidenschaftliche Plädoyers für eine Neubesinnung der Schweiz auf ihre humane Asyltradition zu publizieren. 1943, als die Zensur unerträglich wurde, versandte er unter dem Titel «Stimme der Wahrheit» hundert Exemplare einer eigenen Untergrundzeitung, und als die Grenzen wieder aufgingen, besuchte er unter tiefer innerer Erschütterung als einer der ersten Schweizer das KZ Auschwitz. Bald schon bekam er Gelegenheit, das Engagement, das die von der Büchergilde publizierten Bücher von Romain Rolland und Maxim Gorki den Autodidakten gelehrt hatten, in die Praxis umzusetzen. Als Begleiter von Hilfssendungen reiste er immer wieder nach Osteuropa und lernte da auch seine spätere Frau Zofia Pawliszewska kennen, die während des Warschauer Aufstands eine grosse Zahl Juden vor dem Zugriff der Nazis gerettet hatte. Noch ist nicht wirklich aufgearbeitet, wie es geschehen konnte, dass Häsler 1948 zusammen mit dem Zürcher PDA­Stadtrat Edgar Woog wegen Spendenhinterziehung verhaftet und in einem eindeutig politischen Prozess zum Opfer der schweizerischen Spielart von McCartysmus und Kommunistenhetze wurde. Jedenfalls ist es Erwin Jaeckle, dem liberalen «Tat»­Chefredaktor, zu verdanken, dass Häsler nicht endgültig in der Versenkung verschwand, sondern für jenes Blatt seine Karriere als Interviewer lancieren konnte, die ihn schliesslich zu einem der angesehensten Schweizer Journalisten des 20. Jahrhunderts machte. Mit Häslers Namen wird auch in Zukunft vor allem die Aufklärungsarbeit verbunden bleiben, die er mit «Das Boot ist voll» leistete. Aber sein Blick war nie nur auf die Vergangenheit gerichtet, sondern sah in den Fehlleistungen der Jahre 1933 bis 1945 vor allem eine Mahnung, das Gebot selbstverständlicher Menschlichkeit nie wieder zu Gunsten eines selbstsüchtigen «Sacro Egoismo» mit Füssen zu treten. Was Häsler zur heutigen Asylpolitik sagen würde, ist schwer zu sagen. Sicher ist nur, dass eine verlässliche, unbestechliche und von allen respektierte Stimme wie die seine uns heute fehlt.

Alfred A. Häsler in der Schweizer Revue