Rudolf Graber


An zumindest zwei berühmte literarische Flussfahrten sieht sich der Leser von Rudolf Grabers Roman-Erstling erinnert: an J. K. Jeromes Three men in a boat (1889) und an Jochen Kleppers Kahn der fröhlichen Leute von 1933. Rudolf Grabers Kahnfahrt durch das wunderschöne Land Frankreich braucht, wenn man sie literarisch auch nicht auf die gleiche Stufe stellen sollte, solche Vergleiche nicht zu scheuen. 1941 bis 1945 auf der sicheren, aber isolierten Friedensinsel Schweiz entstanden, bringt der Roman, zu dem Graber sich durch zwei nautische Frankreichfahrten von 1925 und 1930 inspirieren liess, in stark bildhafter, imaginativer Weise die Sehnsucht nach Ferne, nach Weite und Freiheit zum Ausdruck. Frankreich wird dabei, ohne dass es zur Idylle verklärt würde, zu einem Paradigma sinnlicher Daseinsfreude und unkomplizierter, lockerer, bedürfnisloser, kurz: unschweizerischer Lebensart.
Drei Freunde, Basler Studenten, wollten in einem alten Fischerkahn von Besançon aus auf Doubs, Saône und Rhône zum Meer hinunterfahren, bis ihnen in ihrer Naivität die Begegnung mit einem verführerischen leichten Mädchen zum Verhängnis wird und man sie mitten aus ihrem Abenteuer heraus nach Basel heimspediert. Die Geschichte ist so munter erzählt, die Landschaft so lebensnah geschildert, die sinnlichen Genüsse - inklusive die bei Schweizern doch sonst so holprige Erotik! - werden so appetitlich aufgetischt, dass man das Buch für eine Übersetzung aus dem Französischen halten könnte. Kein Wunder denn, dass die Juroren des »Büchergilde«-Wettbewerbs 1946 dem Buch den ersten Preis zuerkannten - allerdings ex aequo mit dem die Aktivdienstzeit verherrlichenden FHD-Roman Fahrerin Scherrer von Max Werner Lenz, der schnell zum Bestseller wurde und Grabers Kahnfahrt in den Hintergrund drängte. Dafür gelangte der in Basel ansässige Aargauer bald einmal dank einem einheimischen Fluss zu Berühmtheit: als Verfasser der Basler Fährengeschichten, wie er sie ab 1943, während der Arbeit an der Kahnfahrt, zu schreiben begonnen hatte. Der Fischer Graux, der die drei Schweizer in Besançon so köstlich unterhält, war das Urbild jenes Fährimannes, den Graber erzählend und als Zuhörer mit Geschichten versah, in denen sich die Basler aller Couleur vielfach gespiegelt und karikiert finden konnten. Ein weiterer Fluss, die Donau, spielt die tragische Rolle in Grabers Stifter-Roman Die Pflegetochter von I950. Es war wohl damals die Zeit noch nicht reif, einen sakrosankten Dichter so rückhaltlos indiskret als Menschen darzustellen, wie es Graber im Hinblick auf Stifters Beziehung zur Pflegetochter Juliane tat - sonst hätte der Roman wohl eher positiv statt negativ aufhorchen lassen! 1957 beteiligte sich Graber mit dem Jugendroman Blüten im Wind erneut am »Gilden«-Wettbewerb. Als die Jury dem poetisch-verträumten Werk, das Grabers Kindheit in Säckingen gestaltete, am 5. Februar 1958 einstimmig den ersten Preis verlieh, ehrte sie einen Toten. Der feinsinnige und humorvolle Erzähler war am 26. Januar 1958 mit 59 Jahren einem Herzleiden erlegen.
Von Rudolf Graber sind einzig die Basler Fährengeschichten greifbar,
die der Basler Reinhardt-Verlag 1985 gesammelt herausgab.
(Literaturszene Schweiz)


Graber, Rudolf

* 8. 7. 1899 Säckingen, † 26. 1. 1958 Basel. - Erzähler u. Dramatiker.
Früh vaterlos, wuchs G. in Säckingen, Männedorf u. Basel als Schweizer Staatsbürger auf u. studierte nach Erwerb des Lehrerpatents in Basel u. Würzburg Germanistik u. Geschichte. Danach war er bis zu seinem Tod Gymnasiallehrer in Basel. G. debütierte als Dramatiker (Wetter über Paris. Zürich 1932), wies sich dann aber mit dem preisgekrönten Roman Kahnfahrt durch das wunderschöne Land Frankreich (Zürich 1946. 1957) als fabulierfreudiger Erzähler in der Tradition von Jerome Klapka Jeromes Three men in a boat aus. G.s populärste Veröffentlichung waren die Basler Fährengeschichten, die 1948, 1951 u. 1959 in Zürich in Fortsetzungen erschienen. Aus der Perspektive des »Fährimannes« werden Geschichten erzählt, die im weitesten Sinn mit Basel u. seinen Bewohnern zu tun haben. Bedeutend ist auch der Stifterroman Die Pflegetochter (Augsb. 1950) u. sein letztes Werk, die Jugendgeschichte Blüten im Wind (Zürich 1958. 1975).

WEITERE WERKE: Das Mädchen aus den Weiden u.a. Gesch.n. Zürich 1954. - Merkwürdiger Versuch an einer jungen Ehefrau. Basel 1954 (N.). - Fahrt in ein anderes Land. Zürich 1957 (E.). - Die Basler Fährengesch.en. Basel 1985 (Slg.).
(Bertelsmann Literaturlexikon)