Simon Gfeller

»Ja, das ist eine Fundgrube«, schrieb Otto von Greyerz 1904 an Simon Gfeller. »Es war der grösste Eigennutz von mir, wenn ich Friedli trieb und trieb, fertig zu werden. Ich wusste wohl, dass ich das Wasser sofort auf meine Mühle leiten würde.« - Besagte Fundgrube war der Band Lützelflüh des monumentalen Bärndütsch-Werks von Emanuel Friedli. Und die Mühle, auf die der Kritiker, Volkskundler und spätere Berner Professor und Mentor des Heimatschutztheaters das Wasser leitete, sollte das aufpäppeln, was von Greyerz sich als Bollwerk gegen den Nihilismus der Moderne und als Gegenpol zum elitären »Zürcher Olymp« erträumte: eine bodenständige, auf das Tüchtige ausgerichtete, womöglich im Dialekt geschriebene, jedenfalls aber betont schweizerische Dichtung mit Bern als geistigem Mittelpunkt.
Dass dieser Traum vorübergehend Wirklichkeit wurde, war nicht zuletzt Simon Gfeller zu verdanken, in dessen Lehrerhaus auf der Egg Friedli 1901 bis 1903 den Band Lützelflüh zusammengetragen hatte. In engem Kontakt mit von Greyerz gelang es Gfeller nämlich, das Unteremmentalisch aus Friedlis Bärndütsch dichterisch fruchtbar zu machen und dem Stadtbernischen Rudolf von Tavels als zweiten literaturfähigen Berner Dialekt zur Seite zu stellen. Heimisbach hiess Gfellers Erstling von 1010/11: »Bilder u Bigäbeheite-n-us em Pureläbe«, in denen Folklore, Sprachpflege und Moral gekonnt mit der Geschichte des abstinenten Lehrers Ernst Helfer verknüpft sind, der sein Setteli erst zur Frau bekommt, als er dessen Vater von der Trinksucht befreit hat.
Der Erfolg war durchschlagend. C. A. Loosli, dessen gleichfalls unteremmentalisches Dörfli Gfeller 1909 lektoriert hatte, äusserte sich nicht weniger begeistert als zahllose andere Kritiker und Leser landauf, landab. Und auch Gfellers spätere Werke eroberten ihr Publikum jedesmal im Nu. 1934 wurde er Berner Ehrendoktor, und 25 Jahre nach seinem Tode noch taufte sich sein Geburtsort Dürrgraben nach dem Erstling in Heimisbach um - einzigartige Hommage an einen Dichter, der seinem Volke nach dem Maul geredet hatte! Als Erzähler ist er denn auch, ob Mundart oder Hochsprache, der einmal gewählten konventionellen Schreibweise treu geblieben, und die 1957 abgeschlossene Gesamtausgabe lohnt die Lektüre weniger der auf Heimisbach folgenden 62 weiteren, meist kurzen Erzählungen als der Nachlassdokumente wegen. Aus Briefen und Tagebuch wird nämlich ersichtlich, dass Gfeller in Sachen Patriotismus, Religion und Sozialpolitik dem lebenslang verkannten C. A. Loosli weit näher stand als dem Duzfreund von Greyerz, dessen künstlerischen Postulaten er als Heimatdichter blind verpflichtet blieb. Vielleicht ist diese Diskrepanz mit eine Erklärung dafür, warum der heutige Leser die Heimisbach-Begeisterung von 1911 nur noch schwer nachvollziehen kann und ihn die pfiffig-frechen Aussenseitergeschichten C. A. Looslis wesentlich stärker zu überzeugen vermögen.

Heimisbach ist in fünfter Auflage bei der Edition Francke im Cosmos-Verlag, Bern, greifbar. (Literaturszene Schweiz)