Paul Gerhardt 1607–1676
«In Tönen voller Kraft, gleich Asaphs Harfenklängen / erhob er Christi Lob mit himmlischen Gesängen. / Sing seine Lieder oft,
o Christ, in heil’ger Lust, / so dringet Gottes Geist durch sie in deine Brust!» Die Verse stehen auf dem Gedenkgemälde in der
Paul-Gerhardt-Kirche in Lübben im Spreewald, deren Namensgeber von 1668 bis zu seinem Tod – nach heutigem gregorianischem
Kalender – am 6. Juni 1676 ihr Pfarrer war. Und sie rücken zu Recht die Kirchenlieder in den Mittelpunkt, die Paul Gerhardt
hinterlassen hat und die sein eigentliches Vermächtnis sind, während seine Verwicklung in den Kirchenstreit zwischen
Lutheranern und Calvinisten inzwischen höchstens noch Befremden auslöst. Am 22. März 1607 in Gräfenhainichen bei Dessau als
Sohn des Ratskämmerers der Fürstäbtissin von Quedlingburg geboren, war Paul Gerhardt Absolvent der Fürstenschule von Grimma
und der streng lutheranischen Universität Wittenberg. 1657 wurde er Pfarrer an der Berliner Nikolaikirche, wo auch jener
Johann Crüger als Kantor wirkte, der von 1647 bis 1653 in verschiedenen Auflagen 82 von Gerhardts Liedern in sein Gesangbuch
«Praxis Pietatis Melica» aufnahm. 1651 wurde Gerhardt zum Pfarrer von Mittenwalde gewählt und ging dort 1566 die Ehe mit Anna
Maria Berthold ein, die ihm fünf Kinder schenkte, von denen allerdings nur ein einziges die Eltern überlebte. 1666 kamen in
erster Lieferung «Pauli Gerhardi Geistliche Andachten» heraus, psalmenartige Kirchenlieder, von denen eines die folgenden
Zeilen enthielt: «Dein Rachen sucht lauter Verderben / Und wann nur viel Fromme ersterben / von deiner vergälleten Zungen / so
meinst du / es sey dir gelungen!» Die Attacke richtete sich gegen Friedrich Wilhelm von Preussen, den Grossen Kurfürsten von
Brandenburg, der sein calvinistisches mit dem vorherrschenden lutheranischen Bekenntnis versöhnen wollte und von den
Lutheranern die Zustimmung zu einem Toleranzedikt forderte, das die Lutheraner als Abkehr vom unverfälschten lutheranischen
Glauben betrachteten. Zu jenen, die sich dagegen auflehnten, gehörte auch Paul Gerhardt. Calvinisten seien keine Christen,
befand er und weigerte sich, das Edikt zu unterzeichnen. Auch den Kompromiss, sich ohne Unterschrift im Sinne des Edikts zu
verhalten, liess sein «armes Gewissen» nicht zu, und so wurde er 1667 vom Pfarramt von Mittenwalde suspendiert und nahm ein
Jahr später die Wahl nach Lübben an – eine Gemeinde, die nicht zu Brandenburg, sondern zum lutheranisch gebliebenen Kursachsen
gehörte. Schon als Student in Wittenberg hatte Gerhardt Gedichte zu schreiben begonnen, und insgesamt hinterliess er bei
seinem Tod 139 Kirchenlieder, die sich auf Bibel und Psalmen stützten, im Sinne Luthers dogmatisch korrekt waren und in
Stimmung und Pathos doch auch die Erfahrungen einer schweren, durch Pest und Tod sowie obrigkeitliche Willkür bestimmten Zeit
verrieten. Es sind nicht «Bekenntnislieder» wie Luthers «Eine feste Burg ist unser Gott», sondern «Frömmigkeitslieder», die
Kopf und Herz, Verstand und Gefühl miteinander in Einklang bringen. Am berühmtesten wurde «O Haupt voll Blut und Wunden», das
in Bachs «Matthäuspassion» eingegangen ist, aber auch eine ganze Anzahl weiterer Lieder – etwa «Lobet den Herrn», «Nun ruhen
alle Wälder» oder «Geh aus mein Hertz und suche Freud» – sind der orthodox-lutheranischen Haltung ihres Urhebers zum Trotz zum
Gemeingut vieler christlicher Bekenntnisse geworden und erheben an vielen Orten «Christi Lob mit himmlischen Gesängen».