Catalin Dorian Florescu *1967

Viermal sieht, was der Siedlungsverwalter Teodorescu aus dem rumänischen Timisoara für seinen behinderten Sohn Alin tut, wie ein Wunder aus: Als er 1967 die Ausreiseerlaubnis für eine Behandlung im Aus­ land erwirkt, als in Italien eine Stiftung den Flug nach Amerika ermöglicht, als Alin durch das überraschende Erscheinen des Vaters im Operationssaal aus seiner tiefsten Verzweiflung gerettet wird und als sich 1982, Jahre nach der Rückkehr nach Rumänien, wider alles Erwarten doch noch die Grenzbarrieren für eine endgültige Ausreise nach Westen öffnen. Das für seine innere Entwicklung entscheidendste Wunder aber führt Alin selbst herbei: als nach den verschiedensten Liebesversuchen das Mädchen Ariana, das er anderntags ebenso wie Rumänien für immer verlassen wird, die Hand in der seinen ruhen lässt, obwohl er es über seine Krankheit ins Bild gesetzt hat. «Wir gingen nebeneinander», heisst es da, «Hand in Hand, und die Hand, die ich hielt, war nicht diejenige meines Vaters. Das tat gut.» «Wunderzeit» ist der Roman, mit dem der am 27. August 1967 in Timisoara geborene, seit 1982 in der Schweiz lebende und zum Psychotherapeuten ausgebildete Catalin Dorian Florescu 2001 Kritik und Leserschaft überraschte. Schon an den Solothurner Literaturtagen 2000 hatte der junge Mann mit der Dächlimütze sich mit einem aberwitzigen Aus­ schnitt aus dem Buch als eine der grossen Hoffnungen der deutschsprachigen Erzählliteratur empfohlen, und die Erwartungen gingen voll in Erfüllung, als er 2011 für «Jacob beschliesst zu lieben» den Schweizer Buchpreis erhielt und die «FAZ» schrieb, er habe sich damit «in die vorderste Reihe unserer Literatur katapultiert». Wie «Wunderzeit» bezieht auch dieser Roman, der das abenteuerliche Leben des trotz allem liebenden Jacob in die tragisch­leidvolle Geschichte der Banater Schwaben hineinstellt, seine erzählerische Kraft vom Heimwehland Rumänien, in das die Ausgewanderten, ob real oder literarisch, immer wieder zurückkehren. Das gilt nicht weniger für Florescus übrige drei Romane. «Der kurze Weg nach Hause» liess 2002 Alin aus «Wunderzeit» Jahrzehnte später nach Timisoara zurückkehren. Nicht in Rumänien selbst, sondern bei einem Zwischenhalt in Budapest, erkennt er, dass seine quälenden Fragen weder in seiner Herkunftsstadt noch in der vermaterialisierten Schweiz eine Antwort finden, dass der Weg nach Hause also nicht die Odyssee nach Timisoara oder die Rückkehr in die Schweiz, sondern der kurze Weg zu sich selbst ist. «Der blinde Masseur» machte 2006 anhand der Figur des rumänischen Masseurs und Geschichtenerzählers Ion Palatinus das Erzählen als solches zum Faszinosum. «Zaira» schlängelte sich 2008 virtuos der (erfundenen) Biografie der rumänischen Marionettenspielerin Zaira entlang und machte am Beispiel des Gegensatzes Rumänien–Westeuropa auf bewegende Weise das allgemeine Malaise des entwurzelten heutigen Menschen fassbar. Rumänien und seine komplexe Widersprüchlichkeit werden, so ist zu hoffen, Catalin Dorian Florescu auch künftig inspirieren – in einem guten, positiven Sinn hat er in einem Interview, auf Herta Müller angesprochen, doch selbst bekannt: «Sie ist spezialisiert auf die Düsterkeit Rumäniens – ich schaue mit Sympathie und Liebe auf dieses Land.»