Physikalischer Immortalismus: Nikolaj Fedorov (1829-1903)

Könnte es sein, dass Plato, Lao-tse, Jesus, Nietzsche und Heidegger sich allesamt irrten und uns auf einen völlig falschen Weg leiteten? Dass es eine fatale Dummheit war, Denken und Handeln zu trennen und einer Natur zu trauen, die für den Menschen nichts als Liebesqual, Krankheit und Tod bereithält? Nein, sagt der Russe Nikolaj A. Fedorov. Im Kampf gegen die Natur, unsere grösste Feindin, müssen wir die Grenze zwischen Denken und Tun aufheben, allem sinnlosen Theoretisieren abschwören und uns die Erde und den Kosmos in einer gewaltigen gemeinsamen Anstrengung so vollkommen untertan machen, dass Hunger, Dürre, Katastrophen und Epidemien künftig gänzlich undenkbar sind. Auch sollten wir der Sexualität, diesem unsäglichen Repressionstrick der Natur, der die Männer zu Opfern der Frauen macht, die Stirn bieten und dafür eine Technik entwickeln, mit deren Hilfe wir die als winzige Teilchen überall herumschwebenden Toten wieder einsammeln und gezielt im Weltraum ansiedeln können - als Sühne der Söhne an ihren Vätern und letztlich als Anzahlung auf unsere eigene materielle Unsterblichkeit... Fedorov, als illegitimer Sohn des Fürsten Gagarin 1829 in der Nähe von Tambow geboren, lebte als Lehrer in der Provinz und zuletzt als Bibliothekar in Moskau. Und als er am 28.Dezember 1903 starb, gehörten, obwohl er nicht eine Zeile publiziert hatte, Leute wie Tolstoj und Dostojewski zu seinen Bewunderern. 1906 und 1913 edierten N. Peterson und V. Kozevnikow postum seine (inzwischen verschollenen) Schriften als «Philosophie der gemeinsamen Tat»; die Revolution aber machte ihn, auch wenn Majakowski, Gorki und Pasternak nachweislich von ihm profitierten, zur Unperson. Sein physikalischer Immortalismus und sein Aufruf zur weltumspannenden «gemeinsamen Sache» waren einem Regime ein Dorn im Auge, das im Namen des Materialismus zur Weltrevolution aufrief und die Leiche seines Gründervaters für die Ewigkeit einbalsamierte.