«Mimili heisst mi der Ätti»: Heinrich Clauren (1771-1854)

«,Wie heisst Du, süsses Mädchen?' fragte ich, umschlang das samtene Miederchen mit der Rechten und legte ihre kleine, zarte Hand auf mein Herz, in dem das Blut sich drängte wie das wilde Wasser in den Sturzbächen. ,Mimili heisst mi der Ätti', antwortete das Alpenkind mit einem Wohlklang, der im Resonanzboden meiner gespannten Brust wie der Laut einer Silberglocke wiedertönte. ,Kommt', fuhr sie fort, ,ich will Euch noch höher führen. Ihr sollt noch Schöneres sehen, denn hier um den Berg herum sollt Ihr ein Tal und zwei Gletscherschlünde schauen, wie's keine weiter gibt im ganzen Land!' Ich nahm ihren Arm, und wir stiegen dem Himmel entgegen.» Seit 1815, als sie im «Freimüthigen» erstmals erschien, fand die Erzählung «Mimili», die auf sentimentale Weise von der Liebe eines preussischen Offiziers zu einem Schweizer Alpenkind handelt, die Zustimmung von Hunderttausenden und trug wie später Johanna Spyris «Heidi» wesentlich zur touristisch vorteilhaften Idyllisierung der helvetischen Berggebiete und ihrer Bewohner (-innen!) bei. Verfasser war der aus der Niederlausitz stammende, am 2.August 1854 in Berlin mit 83 Jahren verstorbene Carl Gottfried Samuel Heun, seines Zeichens Offizier und Diplomat in preussischen Diensten, Teilnehmer des Frankreichfeldzugs 1814, preussischer Geschäftsträger in Sachsen. Mit diesem offiziellen Status vertrug sich offenbar die Tätigkeit eines Unterhaltungsschriftstellers nicht, und so publizierte Heun nicht nur «Mimili», sondern sein ganzes, 80 Bände umfassendes Werk unter dem Pseudonym Heinrich Clauren. Aber nicht allen behagte die sentimentale, erotisch verbrämte Kolportage. WilhelmHauff z.B. karikierte sie 1825 in «Der Mann im Mond» und 1827 in einer (in dessen Namen publizierten!) «Controvers-Predigt über H.Clauren», konnte aber nicht verhindern, dass Clauren so bekannt war, dass man, wie Heinrich Heine neidvoll monierte, «in keinem Bordell eingelassen wurde, wenn man ihn nicht gelesen hatte.»