Grossmeister über alle Worte: Paul Claudel (1868-1955)

Er war Konsul in China und Wien, Botschafter in Tokio und Washington, und zugleich war er der führende Repräsentant des französischen Renouveau catholique: Paul Claudel, geboren am 6.8.1868, gestorben am 23.2.1955. 18jährig fand er 1886 während der Weihnachtsmesse in der Notre Dame zum Katholizismus zurück, dem er sein ganzes Werk widmen sollte. Im Drama «Mittagswende» (1906) behauptete er, dass die (erotische) Liebe der Frau zwischen dem hellem Mittag und dem Dunkel der Nacht zu Gott hinführe, in «L'Annonce faite à Marie» liess er 1912 Violaine Vercors sein Weihnachtswunder von 1886 nacherleben, in der Trilogie «Le pain dur», «L'otage» und «Le père humilé» denunzierte er 1918/20 das Zeitalter des Materialismus als katastrophalen Irrweg, das dreiteilige Schauspiel «Der seidene Schuh» von 1924 ist in Gestalt eines modernen Mysterienspiels ein Hohelied auf die eheliche Treue, mit der die standhafte Dona Prouhèze, hin und her gerissen zwischen Eros und Gottesliebe, sich zuletzt die himmlische Erlösung verdient. 1907 schon hatte Claudel in der «Art poétique» die metaphysische Dimension seines Werks offengelegt und die These aufgestellt, dass der Dichter, «der die Grossmeisterschaft über alle Worte besitzt und dessen Kunst darin besteht, sie anzuwenden», im Leser «einen harmonischen und angespannten, richtigen und starken Zustand der Einsicht hervorzubringen» vermöge. Ein Effekt, den er mit seinen an der Bibel geschulten wohlklingenden freien Rhythmen bei zahllosen Menschen auszulösen vermochte. Nur nicht bei André Gide, dem Protestanten und Homosexuellen, den er mit aller Kraft zur Konversion überreden wollte - in einer Korrespondenz, die von 1899 bis 1926 dauerte und längst zu den grossen Zeugnissen der französischen Literaturgeschichte zählt. «Morgen werd ich kommunizieren», heisst es z.B. am 22.12.1910, «welcher unendlichen Freuden, neben denen alle anderen nichts sind, berauben Sie sich!» Gide dagegen fand, Claudel «hänge drohend» über ihm, und oftmals denke er nur noch an eins: «ans Wegschleichen».