Blaise Cendrars 1887–1961

«Die Stunde ist ernst. Den Worten müssen jetzt Taten folgen. Die ausländischen Freunde Frankreichs, die das Land während ihres Aufenthalts liebgewonnen haben und es wie eine zweite Heimat schätzen, fühlen die zwingende Notwendigkeit, sich in seinen Dienst zu stellen.» Der Aufruf erschien am 29. Juli 1914 in den wichtigsten Pariser Zeitungen und trug die Unterschrift des Italieners Ricciotto Canudo und des Schweizers Blaise Cendrars. Am 1. September 1887 als Bürger von Sigriswil in La Chaux-de-Fonds geboren, war Frédéric-Louis Sauser mit sechzehn von zu Hause ausgerissen, hatte in Russland die Revolution von 1905 miterlebt und anschliessend in Bern Medizin und Literatur studiert. 1911/12 hielt er sich nochmals in Russland und dann in New York auf, um sich 1913 mit Féla Poznanska in Paris niederzulassen, wo er sich dem Kreis um Cocteau, Chagall und Modigliani anschloss und mit «Les Pâques à New York» und «La Prose du Transsibérien» unter dem Pseudonym Cendrars von sich reden machte. Getreu seinem Appell liess er sich 1914 in die französische Armee aufnehmen und wurde am 28. September 1915 so schwer verletzt, dass ihm der rechte Arm amputiert werden musste. Die Verletzung befreite ihn vom Fronteinsatz und gab ihn, des Kriegseinsatzes wegen französischer Staatsbürger geworden, der Literatur zurück. Mit «L’or» («Gold»), dem Lebensroman General Suters, löste Cendrars 1925 in Amerika einen förmlichen Skandal aus, mit «Moravagine» und der Entdeckung des destruktiven Urrhythmus zog er 1926 in Stil und Aussage die literarische Quintessenz aus den Kriegen unserer Zeit. In «Bourlinguer» gab er 1948 ganz sich selbst in seiner unstillbaren Gier nach Leben und immer fantastischeren Improvisationen. «Emmène-moi au bout du monde» («Madame Thérèse») brachte 1956 die Gestalt der Madame Thérèse zutage: den fleischgewordenen Mythos von Paris. Das Erlebnis des Ersten Weltkriegs aber ist in «L’homme foudroyé» (1945, «Die Signatur des Feuers») und «La main coupée» (1946, «Die rote Lilie») dokumentiert, wobei Cendrars erst ganz am Schluss des zweiten Bandes indirekt auf seine Verwundung eingeht, als er von einer Hand erzählt, die zum Erstaunen der Männer im Schützengraben vom Himmel fällt und im Boden Wurzel schlägt. Obwohl er den Gang in den Krieg zunächst als Flucht aus dem snobistischen Pariser Literatenmilieu verstand, hat er in seiner nachgereichten Bestandesaufnahme das Phänomen dann doch wie kaum ein anderer in seiner ganzen Schrecklichkeit literarisch evozieren wollen: «Man verstehe mich nicht falsch, nein, der Krieg ist nichts Schönes, und vor allem ist das, was man als darin verwickelter Befehlsempfänger sieht, ein in den Mannschaften verlorener Mann, eine Kennnummer inmitten Millionen anderer, zutiefst sinnlos ... Von allen Schlachtszenen, die ich erlebt habe, habe ich nur ein Bild eines totalen Chaos zurückgebracht. Ich frage mich, wo die Kerle das herholen, wenn sie behaupten, historische oder hehre Momente erlebt zu haben.» Als Cendrars am 21. Januar 1961 stirbt, hat er sich längst auch mit der Schweiz wieder ausgesöhnt. 32 Jahre lang verband ihn eine platonische Liebe mit Raymone Duchâteau. Und als er sie 1949 in zweiter Ehe heiratete, geschah dies an seinem Bürgerort Sigriswil, das den berühmten Sohn begeistert aufnahm und ihn ausrufen liess: «Ich bin sehr stolz, plötzlich Berner und Oberländer zu sein, ja, Oberländer, ich bin ganz benommen davon!»