Erika Burkart 1922–2010
Erika Burkart, geboren am 8. Februar 1922 in Aarau, hat ihre Kindheit in der von
ihrem Vater, einem ehemaligen Grosswildjäger, betriebenen Wirtschaft zum
Kapf auf dem Moränenzug Wagenrain im aargauischen Aristau «einen Albtraum»
genannt. Und doch sind diese einsame Landschaft und dieses alte Haus, das sie
bis zu ihrem Tod am 14. April 2010 bewohnte, zum zentralen Schauplatz und zur
Bilderwelt ihres literarischen Werks geworden; auf beglückend, fast schon
romantische Weise in den frühen Gedichten und in «Moräne», dem 1970
erschienenen Roman um Lilith und Laurin, auf vielfach erschütternd dunkle,
verzweifelte Weise im späteren Werk, das von der Bedrohung der Natur durch
die rücksichtslos um sich greifende Verstädterung, aber auch von der
Erfahrung des Leidens, des Alters und der Einsamkeit geprägt ist. «Oft kann
ich es kaum ertragen, jemanden auch nur einen Blumenstängel knicken zu
sehen», steht im Prosabuch «Rufweite» von 1975, und 2010, im Lyrikband «Das
späte Erkennen der Zeichen», heisst es über einen vom Blitz
gefällten Baum: «Auch alte Bäume / sind dankbar für
Zärtlichkeit: / unterm Tasten meiner faltigen Hand / erinnern sich die
schorfigen Zweige, / der moosig bepelzte Stamm / ihrer Rosablüten und
Sommeräpfel / in nicht mehr / datierbaren Jahren.» Im Bewusstsein, dass
«den Einzelnen von der Hölle nur das Wissen, nicht allein zu sein» trenne,
lebte Erika Burkart in dem Haus auf dem Hügel in einer kreativen Symbiose
mit dem Autor und Ehemann Ernst Halter, blickte hinaus auf die einsame
Landschaft und machte die nächtlichen Inspirationen in vielfacher Umarbeitung
zum Kosmos ihres lyrischen Werks: «Zwischen zwölf und eins in der
Nacht / aus dem Bett gekrochen zum Schreibtisch / unter das Licht-Trapez an der
Decke, / durch das man ausfliegen kann. / Ein Zettel, ein Bleistift. Die
Nachtschrift, / kaum zu entziffern am Tag.» Pointilistisch-poetisch, mit
unzähligen Querbezügen zu allen denkbaren Themen zwischen Literatur
und Philosophie, Liebe und Tod, hat Erika Burkart in den Prosabüchern
«Rufweite», «Der Weg zu den Schafen», «Die Spiele der Erkenntnis», «Das
Schimmern der Flügel», «Grundwasserstrom», «Die Vikarin» und im 2013 von
Ernst Halter edierten Band «Am Fenster, wo die Nacht einbricht» ihr Leben
erzählt. «Das Gedicht ist das eigentliche Arcanum in der Literatur», lesen
wir in diesem nachgelassenen Band, «ereignet es sich doch in einem Klima, wo die
Aura des Wortes (ungeschriebener geistiger Kontext) erscheinen kann für
Augen, denen der Erste Blick erhalten blieb im Geflimmer und den Finsternissen
des Lebens.» Der eigentliche Höhepunkt von Erika Burkarts Werk sind denn
auch nicht diese autobiographischen Prosaminiaturen, sondern ihre Gedichte, und
unter ihnen in erster Linie die von 1997 bis 2009 entstandene Alterstetralogie
«Stille fernster Rückruf», «Langsamer Satz», «Ortlose Nähe» und
«Geheimbrief». Diese vier schmalen Bände enthalten Seite für Seite
Gedichte, die weit über Erika Burkarts irdisches Leben hinaus lebendig
bleiben werden, eröffnen sie doch, weit hin leuchtende «Gestirne einer
Seefahrt an Ort», auf unnachahmlich souveräne Weise «ein Gespräch in
dieser und ferner Zeit», «das im Tod nicht erstickt».