Edwin Arnet

»Ruf uns, Fahne, ruf die Brüder, Fackel heilger Menschlichkeit! / Aber kommt ein Gessler wieder: ruf den alten Tell zum Streit! / Lodre, blutgetränkte Seide, flamme durch die Völkernacht! / Sieh, es ist zu Tod und Leide‘s Volk, das ganze Volk erwacht!« - Als die 1000 Mitwirkenden das Eidgenössische Wettspiel erstmals zu diesem patriotischen Ende gebracht hatten - 150 000 Schweizer sollten das offizielle Festspiel der Landi 39 in 34 Aufführungen noch sehen! -, brandete tosender Beifall durch die riesige Festhalle. Bundespräsident Etter eilte nach vorn und schüttelte dem Dichter die Hand.
Kein Zweifel: dieser 6. Mai 1939 war Höhepunkt im Leben des NZZ-Redaktors und Schriftstellers Edwin Arnet. Das hausbackene Wettspiel, das Arnets Wiedikoner Sängerfestspiel von 1931 im Geiste des Friedensabkommens von 1937 aktualisierte, war zwar mehr für die geistige Landesverteidigung denn als Kunstwerk bedeutsam, bewahrte die Jury aber immerhin vor der Peinlichkeit, Julius Schmidhausers an nördlichen Vorbildern orientierte Weihe der Jugend zu Landi-Ehren zu verhelfen. Nein, ein genialer Festspieldichter war er nicht, dieser Edwin Arnet, der als Journalist einen warmen, menschlichen Ton in die NZZ hineingebracht hatte. Sein verträumtes, melancholisches Dichtertum, das er selbst einmal »eine Flucht aus der Zeit und der Zeitung« nannte, konnte er als Epiker weit besser entfalten - am besten in kurzen Erzählungen wie der Kleinen Schweizernovelle (1944) oder in Am Saum des Herbstes (1953). Unter seinen Romanen ist Emanuel von 1924 am schönsten gelungen. Es ist die autobiographisch gefärbte Geschichte eines Jünglings, der aus dem ärmlichen Milieu einer Portiersfamille zum Redaktor aufsteigt und getötet wird, als er im Generalstreik vermitteln will.
Die Authentizität und Geschlossenheit dieses Erstlings hat Arnet in den späteren Romanen nicht mehr erreicht. Die Scheuen von 1935 wirken seltsam verworren, und Elgele (1948) zerfällt wie Abschied von Hesperia (1956) in viele Einzelepisoden, die durch Reisen der Protagonisten nur mühsam miteinander verbunden werden. Arnets literarisches Anliegen nach 1945 war es, einer schwermütigen Trauer über den Untergang Hesperiens, jener von Stifter besungenen Welt einer seelenvollen idyllischen Heimatlichkeit, Ausdruck zu geben. »Was wollte ich anderes«, sagt Karl Moebius in Abschied, »als die Zeit zum Stillstand zwingen, das Haus mit patriarchalischem Geiste füllen, einem Frieden Einlass geben, der aus der Zeit der Mythen kam.« Dass allerdings, so Moebius andernorts, »das erzählte Leben herrlicher als das wirkliche« sei - das zu beweisen bleibt sein Verfasser, der in Elgele immerhin noch mit reicher poetischer Erfindungsgabe geglänzt hatte, dem Leser diesmal endgültig schuldig. Das Buch kommt in muffiger Postkutschenromantik und mit gestelzter Prüderie in Liebesdingen dahergeschmachtet und zeigt trotz einzelner gelungener Passagen nur allzu deutlich auf, dass Stifters Idyllik nach Auschwitz und Hiroshima nun einmal nicht mehr rekonstruierbar ist.
Im Handel greifbar sind einzig Arnets «Zürcher Impressionen», die 1982 mit einem Nachwort Werner Webers im NZZ-Verlag erschienen.
(Aus: Literaturszene Schweiz)

Arnet, Edwin

*Zürich 11.5.1901, †Kilchberg (ZH) 27.11.1962, Redaktor und Schriftsteller. Aus ärml. Verhältnissen stammend, wurde A. mit 20 Jahren Redaktor bei der NZZ und gewann 1924 mit dem Erstlingswerk »Emanuel« den Romanwettbewerb des Orell-Füssli-Verlags. In grossen Abständen veröffentlichte er die Romane »Die Scheuen« (1935), »Elgele« (1948) und »Abschied von Hesperia« (1956), Werke, die in der Erzähltradition Stifters stehen und trotz des Geheimnisvollen, das sie bisweilen ausstrahlen, eine gewisse Altmodigkeit nicht verleugnen können. Höhepunkt seiner Karriere war der Erfolg, den er an der Landesausstellung 1939 mit dem offiziellen, in einem Wettbewerb prämierten Festspiel »Das eidg. Wettspiel« buchen konnte.(Schweizer Lexikon CH 91)

Arnet, Edwin

* 11. 5. 1901 Zürich, † 27. 11. 1962 Kilchberg/Zürich; Grabstätte: Zürich, Friedhof Sihlfeld. - Redaktor, Autor von Romanen u. Laienspielen.
Aus ärml. Verhältnissen stammend, verlebte A. seine Jugend- u. Schulzeit in Zürich. Mit 20 Jahren trat er in die Lokalredaktion der NZZ ein u. blieb fast 40 Jahre in dieser Stellung. Als Schriftsteller debütierte er 1924, als sein Roman Emanuel den 1. Preis im Romanwettbewerb des Orell Füssli Verlags gewann. Emanuel (Zürich 1925) ist die autobiographisch gefärbte Geschichte eines Jünglings, der aus dem ärml. Milieu einer Portiersfamilie zum Redakteur aufsteigt u. getötet wird, als er während der Unruhen vermitteln will, die den Schweizer Generalstreik von 1918 begleiten. Die Authentizität u. Geschlossenheit dieses Erstlings hat A., der in seinem »Dichtertum« selbst »eine Flucht aus der Zeit u. aus der Zeitung« sah, in seinen späteren Romanen nicht wieder erreicht. So zerfallen Elgele (Zürich 1948) u. Abschied von Hesperia (Zürich 1956) in viele teils stimmungsvolle Einzelepisoden, die durch Reisen der Protagonisten nur mühsam zusammengehalten werden. A. machte sich auch einen Namen als Verfasser von Festspielen für Laienensembles, etwa durch sein Eidgenössisches Wettspiel, das 1939 als offizielles Festspiel der Schweizer Landesausstellung in Zürich 34 Aufführungen erlebte.
WEITERE WERKE: Die Scheuen. Wien 1935 (R.). - Das verlorene Gedächtnis. St. Gallen 1944 (E.). - Kleine Schweizernovelle. St. Gallen 1944. - Abschied v. der Armut. St. Gallen 1950 (E.). - Ömpoät. Zürich 1954 (E.). - Gedichte des Tagebuchs. St. Gallen 1957. - Die große Kälte. St. Gallen 1961 (E.). - Zürcher Impressionen. Zürich 1968. (Bertelsmann Literaturlexikon)